Pferdestärken gehören zum Alltag

von Gundel Jacobi

Tierliebhaberin schwört auf Geländewagen

Auto steht auf einem Feldweg neben einer Pferdekoppel mit einem Pferd
Foto: Gundel Jacobi

Der Auftrag zum Umbau eines Audi Q7 ist auch für Marcus Harner nicht alltäglich. Als Kfz-Meister und Geschäftsführer von Handicar in Neumünster betreibt er seine Firma für behindertengerechte Fahrzeugveränderungen seit 32 Jahren. Der bärenstarke Geländewagen Q7 ist in der Lage, nicht nur seine Fahrerin samt Elektro-Rollstuhl zu befördern, sondern zusätzlich einen Anhänger mit zwei Pferden über Stock und Stein zu ziehen.

Bei aller unkomplizierter Bodenständigkeit: Petra Bauer liebt Pferdestärken. Schon als Zweijährige krabbelte sie auf ihrem Shetlandpony herum, später entwickelte sie sich zur eifrigen Reiterin, um schließlich ab 1997 beruflich ihren zweispännigen Planwagen mit bis zu 25 Personen durch die Harzer Landschaft zu zirkeln. Parallel dazu wuchs in ihr eine andere Leidenschaft: »Ich bin eine Autonärrin und fahre nie Pkw mit weniger als sechs Zylindern.«

Seit 2019 nutzt sie wegen ihrer Multiplen Sklerose einen elektrischen Rollstuhl. »Davon lasse ich mich nicht unterkriegen, das kommt gar nicht in die Tüte.« Die gebürtige Hamburgerin fügt mit fester Stimme hinzu, dass sie sich derzeit auch aus eigener Kraft auf die Beine stellen und umsetzen kann. Das ist eine Ressource, die sie gut gebrauchen kann, wenn sie ihre Tiere bewirtschaftet. Ihre drei Pferde stehen rund 25 Kilometer vom Wohnort entfernt auf einem Hof und werden nahezu täglich von ihr besucht – oft zusammen mit ihrer Tochter. Der heimische E-Rollstuhl bleibt zuhause im Carport, ein anderer E-Rollstuhl befindet sich stets im Auto; mit ihm rollt Petra Bauer dann vor Ort zum Stall und wechselt dort in einen E-Rollstuhl mit Ballonreifen. Solcherart ausgerüstet kann sie auf die Weide und gegebenenfalls mit einem ihrer Pferde am Führhalfter losspazieren.

»Ich hatte von Anfang an klare Vorstellungen«

Auf den ersten Blick ungewöhnlich: Das Gefährt ihrer Wahl für Fahrten zum Stall, aber auch für längere Überlandtouren, ist ein Audi Q7, der2022 bei Handicar umgebaut wurde. »Ich brauche vier Dinge, die ich von Anfang an in meinem wuchtigen SUV vereint gesehen habe«, sagt die selbstbewusste Eigentümerin:
»Einen flachen Einstieg ohne Schweller, einen starken Motor samt Allradantrieb und die Zugkraft von 3,5 Tonnen.« Dies war bereits ab Werk vorhanden. Doch es sollte noch mehr geben.

Umbaumaßnahmen

Das und Alles weitere baute Marcus Harner um, der sich gut an die klaren Vorstellungen von Petra Bauer erinnern kann: »Neben den üblichen Handbedienungsgeräten galt es, ein Rollstuhlverladesystem einzupassen, ohne dass der Kofferraum angetastet wurde, weil sie ihn vollumfänglich nutzen möchte.«

Damit war ein seitliches Ladeboy-System gesetzt, das Harner auch aus technischen Gründen wegen des E-Rollstuhlgewichts und des rundum problemlosen Handlings in der Praxis gerne empfiehlt. Beim Rausch Ladeboy S2 schätzt Petra Bauer, dass ihr das Verladen des Faltrollstuhls mit einer Hand gelingt. Mit einem Knopfdruck auf die Fernbedienung öffnet sich die so genannte Schwenktür. Dann fährt der seitliche Ladearm entweder mit dem Rollstuhl aus dem Auto leicht hinten versetzt neben die Fahrertür oder aber der Ladearm allein fährt in diese Position und der gefaltete Rollstuhl ist mit nur wenig Kraft draufzusetzen.

»Die Schwenktür sitzt perfekt bis in alle Ewigkeit«

Frsu sitzt in einem Auto mit Pferdeanhänger
Foto: Gundel Jacobi

AUDI Q7 45 TDI QUATTRO

  • Typ: Geländewagen
  • Preis: 72 100 Euro
  • Länge: 5,06 Meter
  • Breite: 1,97 Meter
  • Höhe: 1,74 Meter
  • Leergewicht: 2175 Kilogramm
  • Zuladung: 640 Kilogramm
  • Radstand: 3,00 Meter Kofferraum: 865 Liter
  • Anhängelast: 3500 Kilogramm
  • Sitze: 5
  • Leistung: 231 PS/170 kW
  • Drehmoment: 500 Newtonmeter
  • Spitze: 226 km/h
  • 0 auf 100 km/h: 7,1 Sekunden
  • Normverbrauch (WLTP): 8,5 Liter/100 km
  • CO2-Ausstoß: 224 Gramm/km
  • Foto: Gundel Jacobi
  • Motor: V6-Diesel

Natürlich musste dafür die Fond-Klapptür ineine Schwenktür umgewandelt werden – mitdem größtmöglichen Öffnungswinkel: Die Originaltürwurde in der Mitte mit einem zusätzlichenHilfsrahmen verschraubt, und zusätzlichmontierte Harner an der mittleren Dachsäuleden notwendigen Antriebsmotor. »Klingt einfach«, erläutert der Profi, »aber das ist immereine Herausforderung. Wenn hier alles passt,dann sitzt die Tür samt Schwenkmechanismusperfekt bis in alle Ewigkeit.« Welche Maßarbeit hinter den Umbauarbeitensteckt und wie nach seinen Worten alles mitallem zusammenhängt, verdeutlicht Harner beiPetra Bauers Wunsch nach einem extra E-Rollstuhlfürs Auto: »Die Zweierbank im Fond musste raus, der Einzelsitz daneben rechts sollte jedoch funktionsfähig bleiben. Deshalb wurdenwir zur optimalen Fahrzeug-Raumausnutzung dem Sanitätshaus die Maße des Rollstuhls vorgegeben.«

Abschließend weist er noch auf eine Besonderheithin, die zunehmende Aufmerksamkeiterfordert – nicht nur bei solch exklusiven Autoswie dem Audi Q7: »Je mehr Assistenzsysteme indie Fahrzeuge kommen, umso mehr muss manschauen, dass diese bei allen Umbaumaßnahmenberücksichtigt werden und weiterhin ihrenDienst verrichten können.« Bei Petra BauersAuto führt er als Beispiel die Sitzerkennung undWarnmeldung bei nicht angelegtem Gurt an,die reibungslos funktionieren, auch wenn diefehlende Zweierbank in der zweiten Reihe keinSignal mehr senden kann und deshalb das ganzeSystem gestört wäre. Dies gilt es zu verhindern.

Hoher Alltagsnutzen

Die Pferdeliebhaberin benötigt ab und an für besondere Touren einen Anhänger vom Hof, den sie mitbenutzen und somit zwei ihrerVierbeiner befördern kann.

»Der Pferdeanhänger muss auch mal an den Haken«

Dank elektrischer Q7-Anhängerkupplung kommt sie weitgehend ohne Hilfe aus. Voll des Lobes über ihr Zugfahrzeug fasst sie zusammen: »Es gibt viel Platz, der Sportsitz gibt mir guten Seitenhalt, das griffige
Lenkrad ist klasse, der moderne Dieselmotor gibt sich leise, durchzugsstark und laufruhig. Auf Langstrecke bewege ich ihn mit Hänger unter sieben Liter. Mir bereitet das Q7-Fahren viel Vergnügen.« Der Allradantrieb und die Möglichkeit, den Wagen 15 Zentimeter hochzupumpen, gibt ihr enorme Freiheit, »denn damit komme ich bei nahezu jeder Witterung in jeden Wald und auf jede Wiese«. Wohlgemerkt: zur Betreuung ihrer Pferde.

»Im Frühjahr kann ich wieder Kutsche fahren«

Auf die Frage, ob ihr etwas am Ingolstädter Auto mit den vier Ringen fehlt, muss sie länger überlegen. »Leider hat er keinen CD-Spieler.« Einen Moment später fügt sie noch hinzu: »Ich muss gestehen, dass ein Drehsitz schon was Feines wäre, aber ich will ja in Bewegung bleiben, das spare ich mir also für später auf.«

Neben dem technischen PS-Gefährt besitzt sie auch noch eine Kutsche, bei der derzeit ein auf ihre Bedürfnisse abgestimmter Hubsteiger eingebaut wird, damit sie auch wieder hoch auf dem Gespann-Wagen mit zwei ihrer Rösser unterwegs sein kann. Außerdem hat Petra Bauer neben ihren Pferden auch noch einen Chihuahua, den sie bei Wind und Wetter dreimal täglich Gassi führt. »Das machen wir meistens zuhause im Dorf.« Mit einem Augenzwinkern fügt sie noch an: «Wir sind ein eingeschworenes Trio: Der E-Rolli, mein Hund Lito und ich haben ein ausgezeichnetes Immunsystem.«

Fazit

Mit dem Geländewagen Audi Q7 liegt der Fokus auf einem zweifellos exklusiven Objekt – selbst wenn der Umbau an sich mit den Maßnahmen Handbedienung, Schaltanlage und Pedalabdeckung sowie Rollstuhleinzugshilfe einen gewissen Standard darstellt, der in vielen Fällen benötigt wird. Immerhin sind bei Umbauer Markus Harner rund 50 Prozent der Kunden aktive Fahrer und Fahrerinnen. Doch das Beispiel Petra Bauer zeigt, dass auch ungewöhnliche Handicap-Projekte wie ein starkes Zugfahrzeug mit Pferdeanhänger in die Realität umgesetzt werden können: mit letztlich doch immer wieder individueller Maßanfertigung.

Kowsky Handicar GmbH – Umrüstung behindertengerechter Fahrzeuge

Havelstraße 6
24539 Neumünster

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