„Alle sollen ihre Rechte kennenlernen“

von Gabriele Wittmann

Die Arbeit der Antidiskriminierungsbeauftragten des Bundes

Kopf einer Frau
Illustration: Margarethe Quaas

Als Journalistin war sie Mitbegründerin des Verbands »Neue deutsche Medienmacherinnen«. Ferda Ataman arbeitete für den Spiegel und für Deutschlandradio Kultur, wurde Redenschreiberin für den Integrationsminister Armin Laschet und später Geschäftsführerin der Agentur Diversity Kartell, die mehr Vielfalt in die Gesellschaft bringen will. 2022 wurde sie vom Bundestag zur Unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung
gewählt. Wir fragten Sie: Wie geht es Ihnen nach fast einem Jahr mit Ihrer neuen Aufgabe?

Ferda Ataman:

Es ist der schönste Job, den ich mir vorstellen kann. Ich beschäftige mich schon sehr lange von verschiedenen Seiten aus mit Anti-Diskriminierung. Und jetzt ist der richtige Zeitpunkt, das Thema auch in der Bundespolitik weiter voranzubringen.

Warum?

Für mich ist es wichtig, dass wir Antidiskriminierung als zentrales Menschenrecht begreifen – und als Politikfeld, das alle Menschen betrifft. Es geht um Geschlechterfragen, um Rassismus, aber genauso um Barrieren für Menschen mit Behinderung. Es vergeht keine Woche, in der ich nicht lese, dass Menschen Probleme mit Barrieren haben, zum Beispiel im Nahverkehr. Deswegen freue ich mich, dass ich hier tätig sein kann.
In der ADS können wir Menschen darüber aufklären, was sie tun können und welche Rechte sie haben. Und das ist sehr wichtig.

Wie viele Beschwerden über Diskriminierung erhalten Sie von der Gruppe unserer Leserinnen und Leser, also von Menschen mit Behinderung?

37 Prozent melden sich aufgrund von rassistischer Diskriminierung, 32 Prozent kommen von Menschen mit Behinderung. Es ist also die zweitgrößte Gruppe.

Interessant, das ist eine recht große Gruppe! Warum werden in gesellschaftlichen Debatten dann Menschen mit Behinderung oft nur an letzter Stelle genannt?

Das ist auch mein Eindruck in den medialen Debatten. Es gibt eine Studie der Malisa Stiftung
von Maria Furtwängler. Darin wurde untersucht: Wie oft sind Menschen mit Behinderung im Fernsehen zu sehen? Da kommt man auf einen Prozentwert von Null-Komma-irgendwas. Wir reden seit vielen Jahren über die Mobilitätswende. Aber wir reden viel zu wenig über Menschen, die auf Barrierefreiheit angewiesen sind. Das muss sich ändern.

Was also ist zu tun?

Mit dem Bundesbehindertenbeauftragten habeich beispielsweise vereinbart, dass wir dasThema in den Vordergrund bringen. Ende desJahres wollen wir eine öffentlichkeitswirksameKampagne in Auftrag geben. Die wird zum Zielhaben, dass alle Menschen in Deutschland ihreRechte kennenlernen. Und wir werden erklären,warum das für die Gesellschaft als Ganzeswichtig ist. Außerdem mache ich mich für eineReform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzesstark. Betroffene brauchen hier mehrRechte, um gegen Diskriminierung vorgehen zu können.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) berät Menschen über ihre Rechte. Zu welchen Themen?

Unser Team berät auf der Grundlage des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Das ist das derzeitige Antidiskriminierungsrecht in Deutschland. Es gilt bislang nur im Arbeitsleben und bei Alltagsgeschäften – wenn man also etwas kauft, eine Wohnung sucht oder den öffentlichen Nahverkehr nutzen will. Es gilt nicht im öffentlichen Raum, etwa in Schulen oder in Ämtern und Behörden. Da muss noch viel nachgeholt werden. Ich plädiere dafür, dass auch die Bundesländer perspektivisch Antidiskriminierungsgesetze
erlassen – das Land Berlin ist hier seit 2020 ein Vorbild.

Grafik Frau im Rollstuhl auf bunten Wellen
Illustration: Margarethe Quaas

Welche Art von Beschwerden erhalten Sie zum Thema Behinderung?

Die meisten kommen aus den Bereichen Bildung, Arbeitsmarkt und Internetnutzung. Am häufigsten sind Fälle, bei denen Menschen mit anerkannter Schwerbehinderung keine Einladung für ein Vorstellungsgespräch erhalten. Oder dass schwerbehinderte Mitarbeiter nicht entfristet werden, obwohl andere Mitarbeiter zeitgleich entfristet wurden. Häufig geht es aber auch um Mobilität. Etwa, wenn eine Bahn oder ein Bus nicht zugänglich waren oder ein Rollstuhl nicht mit ins Flugzeug verladen werden durfte und die Person dadurch nicht mitfliegen konnte.

Wie können Sie in konkreten Fällen helfen?

Das Wichtigste ist: Es gibt eine Acht-Wochen- Frist, die man nicht verstreichen lassen darf. Unser juristisches Team gibt eine erste Einschätzung des Falls und zeigt Schritte auf, was man tun kann. Wenn die Menschen das möchten, können wir auch eine gütliche Einigung anbieten.

Also ähnlich wie bei der Schlichtungsstelle des Bundesbehindertenbeauftragten?

Ja. In einigen Fällen verweisen wir auch auf die Schlichtungsstelle, weil sie mehr Kompetenzen hat, um rasch zu helfen, beispielsweise bei Fragen von Barrierefreiheit bei der Bahn. Ein Beispiel: Die Schlichtungsstelle kann hier offiziell und unkompliziert ein Schlichtungsverfahren einleiten, an dem das Verkehrsunternehmen auch mitwirken muss. Wir haben diese Möglichkeit nicht, sondern bieten eine kostenlose Rechtsberatung zu Diskriminierung an.

Kommen wir zurück zum AGG. Es gibt einbreites Bündnis, das dieses Antidiskriminierungsgesetzreformieren will. Welche Lückensollten Ihrer Meinung nach sofort geschlossen werden?

»Im Moment ziehen Menschen allein vor Gericht«

Die größte Hürde für Menschen, die ihr Recht nutzen wollen, ist die kurze Frist von acht Wochen,
um gegen Diskriminierungen rechtlich vorgehen zu können. Die muss auf ein Jahr verlängert werden, damit man sich in Ruhe überlegen kann, ob man vor Gericht ziehen will oder welche anderen Möglichkeiten es gibt.

Was noch?

Das AGG gilt bisher nur auf dem Arbeitsmarkt und beim Zugang zu Gütern. Der Staat hat sich selbst bei dem Gesetz bisher ausgenommen. Wir erhalten aber viele Meldungen von Menschen, die sich durch Ämter, an Schulen oder durch die Polizei diskriminiert fühlen. Dagegen müssen die Bürgerinnen und Bürger auch vorgehen können.

Gibt es weiteren Änderungsbedarf?

Im Moment ist es so, dass Menschen allein vor Gericht ziehen und die Kosten dafür tragen
müssen. Deshalb haben wir so wenig Klagefälle. Wir hätten gerne ein Verbandsklagerecht – und ein eigenes Klagerecht auch für die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Dann könnten Verbände und die Antidiskriminierungsstelle auch grundsätzliche Urteile erwirken.

Haben Sie ein Beispiel?

Ein Telefondienst-Anbieter dürfte beispielsweisenicht nur einfach eine Hotline schalten, sondernmüsste auch sicherstellen, dass alle Menschen die Möglichkeit haben, den Anbieter zu erreichen. Dazu gehören eben auch Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen. Wird uns so ein Fall gemeldet, könnten wir dieses Recht dann einklagen.

Sie wollen auch gegen Altersdiskriminierungvorgehen. Haben Sie viele Beschwerden hierzu?

Aus Umfragen wissen wir, dass genauso viele Menschen Altersdiskriminierung erleben wie Diskriminierung aufgrund von Rassismus. Allerdings liegen die Meldungen bei uns nur bei etwa zehn Prozent. Vermutlich wissen viele Menschen gar nicht, dass sie bestimmte Rechte haben.

Welche Rechte werden Älteren nicht gewährt?

Häufig geht es darum, dass Menschen ab 55 Jahren auf dem Arbeitsmarkt als nicht mehr vermittelbar gelten. Und wir alle wissen: Da ist noch viel Zeit bis zur Rente. Ein anderes Thema sind Kredite: Ab 60 wird es erheblich schwieriger, einer Bank zu sagen: Ich habe noch etwas vor. Und schließlich geht es auch um Versicherungen, die pauschale Alterszuschläge hinzurechnen – ohne, dass individuell geprüft wird, wie fit dieser Mensch noch ist.

Geht es immer um hohes Lebensalter?

Nein, es kann auch Diskriminierung aufgrund eines jungen Lebensalters sein. Frauen bekommen
beispielsweise oft nur befristete Arbeitsverträge, weil ihnen unterstellt wird, sie würden sicher bald eine Familie gründen. Oder sie werden nicht befördert, weil nur ältere Mitarbeitende befördert werden. Aber Alter kann und darf kein Kriterium dafür sein, wie man mit Menschen umgeht.

Sie setzen sich schon lange für mehr Vielfalt in der Gesellschaft ein. In den 2 000er Jahren haben Sie als Journalistin den Verband »Neue deutsche Medienmacherinnen« mitgegründet. Worum ging es da?

Eine Gruppe von Journalistinnen aus Einwandererfamilien hat sich 2008 zusammengetan. Weil wir die Beobachtung gemacht haben, dass ganz viel über Menschen mit Migrationshintergrund gesprochen wurde. Aber ohne sie. Deshalb wollten wir erreichen, dass mit ihnen statt über sie gesprochen wird. Und wir wollten, dass sie auch selbst als Medienschaffende tätig werden: Hinter der Kamera, in den Redaktionen. Wir haben gesagt: Menschen aus Einwandererfamilien bringen neue Kontakte und neue Ideen mit. Und das hat über die Jahre mit dazu geführt, dass die Medienlandschaft diverser geworden ist.

Ist das tatsächlich so?

Ja, auf jeden Fall. Allein im Bereich Moderation ist die Anzahl der Menschen aus Einwandererfamilien signifikant gestiegen. Heute moderiert Dunja Halali zur besten Sendezeit im ZDF. Das war früher undenkbar.

Wann haben Sie angefangen, sich für das Thema Diskriminierung zu interessieren?

Ich kann da gar nicht so eine Initialzündung benennen. Aber ich habe mich bereits während meines Studiums der Politikwissenschaft für Migration und Asylpolitik interessiert, auch für die Geschichte des deutschen Nationalstaates. Wer war zu welcher Zeit drinnen und wer war draußen? Das finde ich eine spannende Frage.

Hat Ihre Familiengeschichte auch eine Rolle gespielt?

Ich denke schon. Das war mir lange nicht bewusst. Aber als Kind einer alleinerziehenden Mutter, die als Gastarbeiterin nach Deutschland gekommen ist und den Sohn eines Gastarbeiters geheiratet hat, war ich die Persona »zweite und dritte Generation Einwandererkind«. Und das prägt einen schon, Teil einer Minderheit zu sein, die als Gruppe stark von Diskriminierung betroffen war. Und das führt dann schon auch dazu, Themen wie »gleiche Rechte für alle« stärker wahrzunehmen.

»Die große Mehrheit der Menschen ist weltoffen«

Wie sehen Sie unsere heutige Gesellschaft in Deutschland: Sehen Sie eine Gefahr von extrem rechts? Und was müsste jetzt passieren?

Es ist wichtig, Empathie zu schaffen. Wenn die Ressourcen knapp werden, besteht ja immer die Gefahr, dass die Menschen sich in Verteilungskämpfe begeben. Dann streiten sich die Leute nicht mehr um den Kuchen, sondern um die Krümel, wie ein Sprichwort sagt. Hier wäre es wichtig, dass man sich gemeinsam für mehr Ressourcen einsetzt.

Wie könnte das gelingen?

Da spielt politische Bildung eine Rolle. Sie muss unbedingt gestärkt werden. Denn in öffentlichen Debatten brauchen wir einen respektvollen, empathischen Umgang miteinander. Das können Ankerpunkte für Themen sein wie Zusammenhalt, Klima, Werte, Demokratie. Und das muss immer wieder verhandelt werden.

… eine schwierige Aufgabe …

Ich sage immer: Es ist gar nicht so schwierig. Der Umgang mit dem AGG ist wie der Umgang mit der Straßenverkehrsordnung: Es gibt Gebote und Verbote. Wir überschreiten alle einmal die Geschwindigkeit, manchmal auch unbewusst. Das hat dann aber auch Konsequenzen. Und wenn wir merken, dass eine ganze Gruppe regelmäßig und immer wieder übergangen wird, dann ist das nicht in Ordnung.

Wie solidarisch sind wir?

Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit Rassismus und Diskriminierung. Und aus diesem Blick heraus ist es für mich nicht selbstverständlich, dass wir heute Menschen aus Osteuropa so offen empfangen. Wenn ich mir anschaue, mit wie viel Mitgefühl und auch privatem Engagement wir die vor dem russischen Angriffskrieg aus der Ukraine Geflüchteten aufgenommen haben, dann zeigt das schon: Viele Menschen sind empathisch und helfen.

In Ihrem Buch »Hört auf zu fragen – Ich bin von hier« haben Sie geschrieben: Wir sind in Deutschland weltoffener, als wir denken. Was meinen Sie damit?

Die große Mehrheit der Menschen in Deutschlandist weltoffen. Wenn man Fragen stellt wie:Soll man geflüchteten Menschen helfen? FindenSie Vielfalt gut? Sollen alle die gleichen Rechtehaben? Dann sind 80 Prozent der Menschendafür. Und auch, wenn man sich anschaut, wiestark das Engagement für die Zivilgesellschaftist, dann stehen wir besser da, als die lautstarkenDiskurse es manchmal vermuten lassen.

AGG

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist 2006 in Kraft getreten. Ziel ist es, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung,
einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen. Das aus 100 Organisationen bestehende »Bündnis AGG-Reform jetzt!« fordert eine zügige Weiterentwicklung des Gesetzes. Informationen unter: www.antidiskriminierung.org

ADS

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) ist eine fachlich unabhängige Anlaufstelle beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für alle Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind. Jeder Mensch kann sich an sie wenden. Die Institution stellt keine Anwälte, kann jedoch durch ihre beratenden Juristinnen und Juristen eine erste kostenlose Einschätzung des Falles abgeben.
Tel. 0800 546 54 65 oder
www.antidiskriminierungsstelle.de

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