Der kleine große Unterschied Studien zu Gender-Medizin gefordert

von Gabriele Wittmann

Ein Mann und eine Frau stehen vor einer Wand und deuten einen Schnurrbart an
Foto: Alexander Gehring

Ihre Ärztin verordnet ein Medikament, und Sie stellen fest, dass es Ihnen nicht gut bekommt: Haben Sie das auch schon erlebt? Wenn Sie weiblich sind, kann es daran liegen, dass die Dosis zu hoch war.

Frauen reagieren auf Medikamente anders als Männer. Diese Erkenntnis ist nicht neu, wird aber noch viel zu wenig berücksichtigt. Deswegen drängt die Seniorprofessorin für Frauenspezifische Gesundheitsforschung an der Charité-Universitätsmedizin Berlin, Vera Regitz-Zagrosek, darauf, dass die sogenannte »Gendermedizin« künftig mehr Mittel für Forschung und Anwendung erhält.

Die Unterschiede könnten über Leben und Tod entscheiden, erklärte die Professorin in einem Interview gegenüber der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH). Ärztinnen und Ärzte seien sich dieser Unterschiede jedoch nach wie vor nicht hinreichend bewusst. Deswegen brauche es dringend eingehendere Forschung. »Das wäre zwar in den frühen Phasen mit mehr Aufwand und höheren Kosten verbunden«, räumt die Wissenschaftlerin ein. »Da es dadurch aber weniger Arzneimittelnebenwirkungen und unerkannte Erkrankungen geben würde, die Menschen in Notfallsituationen bringen, wäre das volkswirtschaftlich sogar günstiger.«

Der Unterschied zwischen Frauen und Männern hat mehrere Gründe. Zum einen steuern die Geschlechtschromosomen das Herz-Kreislaufsystem, das Immunsystem, den Stoffwechsel
und Hormonhaushalt. Und diese Chromosomen sind bei Männern (XY) und Frauen (XX) unterschiedlich.

»Doppelt so lange im Körper«

Dazu kommt: Frauen haben einen höheren Fettanteil im Körper als Männer und sind oft kleiner, weshalb die Konzentration von Medikamenten im Körper höher ist. Und schließlich arbeitet auch die Leber anders, die die Wirkstoffe abbaut: Eine Tablette bleibt bei Frauen doppelt so lange im Körper.

»Die Gendermedizin nimmt auch das soziale Geschlecht
unter die Lupe«

Die sogenannte »Gendermedizin« bezieht daher nicht nur das biologische, sondern auch das soziale Geschlecht mit ein. Damit könnte die Forschung auf diesem Gebiet auch Männern zugutekommen. Sie beschäftigt sich aber auch mit Menschen, die sich der Gruppe LGBTI zugehörig fühlen (englische Abkürzung für lesbian, gay, bisexual, transsexual/transgender, intersexual). Dadurch soll es in ferner Zukunft auf jeden Einzelnen zugeschnittene Therapiepläne geben, so die Vision.

verschiedene Medikamente im Blister liegen nebeneinander
Foto: CC0 Public Domain/ Pixabay/ Pexels

Neben dem biologischen Geschlecht führt auch das soziale Geschlecht zu Unterschieden, die medizinisch von Bedeutung sind, stellt Professorin Regitz-Zagrosek klar: Kulturelle und sozialspezifische Rollenbilder und Erwartungen beeinflussen das Verhalten von Männern und Frauen unterschiedlich. Einer Studie der KKH zufolge gehen zehn Prozent weniger Männer als Frauen zum Arzt, aus Zeitmangel oder aus Angst vor einer schlimmen Diagnose.

An den Hochschulen wird die Gendermedizin kaum gelehrt, bislang hat sie nur die Berliner Charité in den Studiengang Humanmedizin integriert. Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung haben sich SPD, Grüne und FDP dafür ausgesprochen, die Fachdisziplin in Deutschland zu etablieren. So könnte also demnächst etwas auf dem Feld vorankommen.

Als Gastprofessorin für Gendermedizin an der Universität Zürich erstellt Vera Regitz-Zagrosek jetzt gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen eine Studie, die auch Daten über trans- und intergeschlechtliche, lesbische und homosexuelle Personen mit aufnimmt. Denn auch über diese Gruppen gibt es noch kaum Daten. »Wir stecken damit noch in den Kinderschuhen«, so die Wissenschaftlerin.

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