»Wir haben uns einfach den Raum genommen«

von Gabriele Wittmann

Erfolgreicher Kampf für Inklusion im Tanz

Sie hat den Ehrentheaterpreis der Stadt Köln erhalten und tritt in vielen Ländern auf: Seit dreißig Jahren arbeitet die Choreographin Gerda König mit »DIN A 13 tanzcompany«, einem der weltweit wenigen »mixed-abled« Ensembles, das sich aus Tänzern mit und ohne Behinderung zusammensetzt. Mit ihren Inter- ventionen sorgte sie immer wieder für Aufse- hen. Wir fragten sie zunächst: Stimmt es, dass im Theaterbereich einiges in Punkto Barriere- freiheit vorangegangen ist?

Gerda König: Für den Bereich des Theaters kann ich schon sagen, dass sich in den vergangenen fünf bis zehn Jahren durch den Druck der UN- Behindertenrechtskonvention einiges entwickelt hat. Bei den Festivals noch nicht so sehr, aber zumindest der Förderbereich ist inzwischen sensibilisiert.

Wie macht sich das bemerkbar?

Wenn ich als freie Künstlerin beim Fonds Dar- stellende Künste einen Förderantrag stelle, dann wird heute gewünscht, dass das Thema »Diversi- tät« darin einen Platz hat. Dass also beispiels- weise Menschen mit Behinderung mitarbeiten. Oder dass die Themen Identität, Rassismus und Diversität im Konzept vorkommen.

Gibt es weitere Verbesserungen?

Bei verschiedenen Förderinstrumenten achtet man inzwischen darauf, dass zusätzlich noch Mehrbedarf beantragt werden kann. Also wenn man beispielsweise Rampen braucht oder eine Assistenz für Menschen mit Behinderung.

Sie haben vor vier Jahren während einer der größten Zusammenkünfte von Tanzschaffen- den in Deutschland, dem Deutschen Tanzkon- gress, in Dresden-Hellerau öffentlich protes- tiert. Was genau ist da passiert?

Das war wirklich eine Katastrophe: Das ganze Haus in Dresden-Hellerau war nicht barriere- frei. Es gab keine Dozenten, die jemals mit diversen Körpern gearbeitet haben. Es gab keine Gebärdendolmetscher. Das ganze Thema Inklu- sion war komplett vergessen worden.

Wie haben Sie darauf reagiert?

ch war ja als Teilnehmerin eingeladen. Ich und drei weitere Teilnehmerinnen mit Behinderung waren entsetzt. Wir haben am Ende zu viert einen offenen Brief vorgelesen mit einer unter- zeichneten Liste betroffener KünstlerInnen.

Wo war dieser Auftritt?

Das war auf der Abschlussveranstaltung. Ohne Wissen der Veranstalter sind wir auf die Bühne gegangen.

Sie haben die Bühne gestürmt?

Wir haben uns einfach den Raum genommen.

Welche Folgen hatte das?

Durch unser klares Statement konnte man das Thema künftig nicht mehr ignorieren. Viele Teilnehmer haben im Anschluss unseren Aufruf unterschrieben. Es entstanden Diskussionen unter großen Förderern wie den Goethe-Institu- ten oder der Kulturstiftung des Bundes.

Und wie ist es heute?

Inzwischen ist bei allen der Wille da, es besser zu machen. Es gibt mehr barrierefreie Websei- ten, manche fordern Coaching von Experten an. Wir sind noch nicht da, wo wir sein wollen, aber ein Zeichen ist gesetzt.

Und der aktuelle Deutsche Tanzkongress …?

Der jetzige Tanzkongress achtet auf Barrierefrei- heit. Ich bin zusammen mit einer Kollegin ein- geladen worden, auf die Details zu achten. Man kann nicht alles auf einmal umsetzen. Aber dass es inzwischen möglich ist, dass es unterschiedliche Angebote gibt und Dozenten auch zum Thema Barrierefreiheit geschult werden, das sehe ich auf jeden Fall als positiv.

Was müsste noch passieren?

Es gibt so viele Ansätze, die wünschenswert sind. Es wäre super, wenn jedes Theater Gebär- dendolmetscher, Audio-Deskription und Leichte Sprache im Programmheft anbieten könnte, ebenso wie barrierefreie Zugänge und Toilet- ten. Das kostet. Theater könnten Diversität und Barrierefreiheit aber in ihre Konzepte schreiben, denn dann würden sie mehr finanzielle oder personelle Unterstützung erhalten vom Land und vom Bund. Große Theater können sich also eigentlich heutzutage nicht mehr damit heraus- reden, dass das finanziell nicht ginge.

Wie schnell könnte man das umsetzen?

Man kann nicht alles von heute auf morgen ändern. Wichtig ist, dass eine Entwicklung da ist. Und dass von Seiten der Förderer darauf ge- achtet wird, ob die Theater das wirklich umset- zen. Es wäre wünschenswert, dass auch kleinere Theater Barrierefreiheit umsetzen könnten. Das ist in erster Linie eine finanzielle Frage. Aber auch eine Frage von Bewusstwerdung. Und je mehr ich eine Gesellschaft dafür sensibilisiere, umso mehr wird das etwas werden.

»Große Theater können sich eigentlich nicht mehr rausreden«

Im vergangenen Jahr gab es einen großen Inklusions-Gipfel aus dem Bereich Kultur. Sie waren auch eingeladen. Wurden dort Dinge vorangebracht?

Ich war im letzten Jahr auf so vielen Online- Talks, ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr, welche Runde das war. Ich war sicher dabei. Aber ich sehe in diesen Talk-Gipfeln keine Weiterent- wicklung. Wir reden seit dreißig Jahren. Jetzt muss es um das Handeln gehen.

Wo tut sich noch nicht so viel?

Wir fordern beispielsweise seit Jahren, dass es auch eine professionelle Ausbildung für Men- schen mit Behinderung im Tanzbereich geben muss. Der Tanz wird immer noch sehr normiert gedacht, zumindest an Hochschulen. Wir haben deshalb jetzt bildungspolitische Projekte begon- nen wie »UNIque@dance« oder das »M.A.D.E.- Programm« (siehe Kasten).

Kommen wir zu Ihrer eigenen künstlerischen Arbeit. Sie haben drei Jahre nach dem Bürger- krieg in Sri Lanka das Stück »changeABLE cohesion« entwickelt. Wie gehen Sie mit Be- hinderung auf der Bühne um?

Mich interessiert Behinderung als Thema nicht, sondern mich interessiert der kulturelleKontext: Welche Themen sind in dem jewei- ligen Land wichtig? In dem Stück gab es eine Szene, in der wir im Ensemble alle auf einem Bein stehen müssen. Das war eine wahnsinnige Herausforderung. Aber das passte einfach, weil die Bewegungen mit buddhistischen Gesten zu tun hatten. (Die für Massaker an der Zivilbevöl- kerung verantwortliche Regierung in Sri Lanka ist buddhistischen Glaubens, Anm. d. Red.) Die Tänzer, die aufgrund einer Kriegsverletzung nur ein Bein hatten, waren kräftiger, da sie täglich damit arbeiten. Sie konnten das viel besser, weil es deren Alltag ist.

Mich hat diese Szene sehr berührt. Im Lau- fe des Stückes ziehen auch immer mehr der technisch versierten Tänzer ihr Bein aus – und klar wird: Es war eine Prothese, sie haben nur noch eines. Wir erarbeitet man so etwas?

Drei der sechs Tänzer waren Ex-Soldaten, die Nicht-Behinderten Tänzer kamen aus einem anderen sozialen Kontext. Viele Menschen, die nicht behindert sind, haben noch nie mit Menschen mit Behinderung gearbeitet. Da muss man erst mal Vertrauen schaffen. Das Wahr- nehmen üben. Und über die Neugier versuchen, beide Seiten mitzunehmen. Erst, wenn alle eine gemeinsame Basis haben, zeigen die Leute ganz viel von sich. Dann können wir Material zum Improvisieren anbieten und wirklich ans Thema gehen.

Wie gehen Sie mit der jeweils anderen Kultur um?

Wir haben immer einen kulturellen Coach da- bei, den wir fragen: Wie wird dieses oder jenes gesehen, in diesem Land? Ich persönlich finde es immer spannend, mich in einen Kontext zu begeben, mit dem ich nicht vertraut bin. Wo ich meine Komfortzone verlassen muss. Indemich mit einer anderen Kultur zusammentreffe, kommt es zu einer anderen Auseinanderset- zung.

»International gibt es viel mehr Projekte als in Deutschland«

Sie haben 2005 das erste Mal ein mixed-abled Ensemble im Ausland gegründet, in Kenia. ..

Das waren meine ersten Projekte im Ausland. Und da ging es mir darum, eine Basis für neue Strukturen zu schaffen. In Nairobi gab es Null in diesem Bereich. Dort haben Menschen mit Behinderung innerhalb der Gesellschaft keine gute Stellung. Sie also auf die Bühne zu bringen, und dann noch im Nationaltheater – das war wagemutig.

Wie hat das Publikum reagiert?

Sehr positiv. Wir hatten ein ausverkauftes Theater, das Stück hatte tabuisierte Themen zum Inhalt und wurde positiv in der Presse bespro- chen. Wir wählen immer einen künstlerischen Ansatz, der die Tänzer gleichsetzt, sodass sie auf Augenhöhe miteinander spielen.

Hat das nachhaltig etwas bewirkt in Nairobi?

Die Gruppe selbst hat später noch zwei oder drei Stücke alleine gemacht, und es fanden sich direkt im Anschluss andere Theaterprojekte, die Menschen mit Behinderung mit einbezogen haben. Im brasilianischen Sao Paolo waren es später mehr Solo-Projekte von einzelnen Tänzern.

Hat die Kulturpolitik der Länder das unterstützt?

Nein. Die Gelder kommen aus dem Ausland, wie im Falle von Kenia durch das deutsche Goethe-Institut. Im Land selbst gab es kein Geld dafür. Aber: Es ist der erste Schritt. Wir sind mit DIN A 13 tanzcompany am Anfang in Deutsch- land ja auch nicht gefördert worden.

Wo stehen wir heute in Deutschland?

Auf jeden Fall ist der Ansatz in Deutschland mehr geworden die letzten Jahre. Das ist gut so. Aber wie gesagt: Wir brauchen dringend eine professionelle Ausbildung für Tänzer und Schauspieler mit Behinderung, und zwar an an- erkannten deutschen Hochschulen. Dafür setzen wir uns aktuell ein.

Fragen: Gabriele Wittmann

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Weitere Artikel in der Rubrik

Datenschutz-Einstellungen (Cookies)

Wir setzen Cookies auf den Internetseiten des ma:mo ein. Einige davon sind für den Betrieb der Website notwendig. Andere helfen uns, Ihnen ein verbessertes Informationsangebot zu bieten. Da uns Datenschutz sehr wichtig ist, entscheiden Sie bitte selbst über den Umfang des Einsatzes bei Ihrem Besuch. Stimmen Sie entweder dem Einsatz aller von uns eingesetzten Cookies zu oder wählen Ihre individuelle Einstellung. Vielen Dank und viel Spaß beim Besuch unserer Website!