Pumpen, Klopfen, Dehnen

von Gabriele Wittmann

Bewegung für das Immunsystem

Damit Menschen auch in Pandemie-Zeiten Zuhause beweglich bleiben, hat Sabine Hansen das »Immun-Protokoll« entwickelt: Einfache Übungen, die nur wenige Minuten dauern. Dafür hat die Osteopathin das Konzept der »lymphatischen Pumpe« so stark vereinfacht, dass auch Laien sie anwenden können. Entstanden ist eine Art Basis-Set für Anfänger, das gerade Menschen im Rollstuhl helfen kann, ihr Immunsystem zu unterstützen. 

Eigentlich ist Sabine Hansen spezialisiert auf die Behandlung von Kindern. Aber auch Rollstuhlfahrer kommen in ihre Gemeinschaftspraxis nach Elmshorn. Die Osteopathin kennt ihre Besonderheiten: »Ohne die Bewegung des Gehens fehlt oft eine Massage des Brustkorbs«, erklärt sie. »Dabei ist die Beweglichkeit des Brustkorbs so wichtig. Zum einen, um Schleim abhusten zu können. Aber auch für das Immunsystem.«

»Auch, wenn jemand im Rollstuhl den Brustkorb nicht selbst bewegen kann: Es gibt immer Dinge, die ein Partner für einen tun kann«, sagt Sabine Hansen. Zum Beispiel das von ihr für Laien entwickelte »Immun-Protokoll«: Die Übungen dauern insgesamt nur fünf bis acht Minuten. Bei Bedarf können Menschen sie mehrmals am Tag durchführen – bei einer Grippe etwa alle zwei Stunden. Und jede Übung kann allein oder mit einem Partner erfolgen. 

Acht Minuten Lymphfluss

Im Zentrum steht die Berührung. Es gilt, die entspannten Hände auf die jeweilige Körperstelle des Empfangenden zu legen und zunächst »zuzuhören«: Was erspüre ich unter meinen Händen? Dann folgt ein »Pumpen« – das ist ein etwa alle 3-4 Sekunden wiederholtes Streichen in Richtung Herz mit sanftem Druck. Dabei fassen die Hände an die entsprechende Stelle, beispielsweise die Rippen, und streichen sie aus. Am Ende jeder Streichbewegung lassen die Hände los – und das Gewebe des Empfangenden »flutscht« zurück in die Ausgangsposition.

Der Ablauf ist einfach: Zunächst wird die Lymphe in der Region des Schlüsselbeins (1) und der Schultern (2) aktiviert, damit sie Richtung Herz abfließen kann. Sodann wird der Brustkorb entkrampft (3), damit Sauerstoff und Lymphfluss auch in den letzten Zipfel der Lunge gelangen. Anschließend werden die entgiftenden Organe Leber und Milz aktiviert (4). Der Bauchraum wird gehalten und gelockert (5). Und zum Abschluss lässt ein massierendes Schuckeln der Füße die Lymphe durch den gesamten Körper fließen (6).

Das komplexe Immunsystem

Wie wirken die vorgestellten sechs Übungen? »Am Immunsystem wirken viele Faktoren mit«, weiß Sabine Hansen, »es ist eines der komplexesten Systeme unseres Körpers.« Zum einen geht es bei den Übungen darum, der Durchblutung und der Atmung mehr Raum zu geben und die Beweglichkeit der quer verlaufenden Schichten in unserem Körper zu erhöhen, also etwa des Brustkorbeingangs oder des Zwerchfells. Zum anderen geht es um die Lymphflüssigkeit. Die Berührung durch Bewegung von außen hilft den Lymphbahnen, das Unbrauchbare im Körper schneller abzutransportieren. Gleichzeitig wird den Empfangenden eine Dosis Lebendigkeit in den Körper zurückgebracht. Die nützlichen Immunstoffe gelangen damit leichter an den Ort, wo sie gebraucht werden.

»Die Flüssigkeiten im Körper wollen frei zirkulieren«, erklärt Sabine Hansen. Vor allem in der unteren hinteren Lunge und in der Lungenspitze sind die Bewegungen langsamer; damit kommen weniger Luft und Durchblutung an. Um es allgemein verständlich zu formulieren benutzt die Osteopathin gern das Bild eines Teiches, um den Vorgang zu erklären: Wo kaum Bewegung ist, setzen sich Dinge ab. Ein idealer Nährboden für Viren, Pilze und Bakterien.

 »Viren verändern die befallenen Zellen und ihre Umgebung so, dass sie optimale Bedingungen für ihre Vermehrung herstellen«, erklärt Hansen. »Es ist wichtig, dem entgegenzuwirken. Das kann durch Bewegung geschehen«, sagt sie. »Und wer sich nicht selbst bewegen kann, den kann man von außen bewegen. Es gibt immer eine Variation, immer eine Möglichkeit.« 

Die Lage darf sich ändern

Wer im Rollstuhl sitzt, kann das »Immun-Protokoll« im Sitzen durchführen – oder auch im Liegen. »Für Übung 4 beispielsweise kann sich der Rollifahrer auch auf die Seite legen«, erklärt Hansen. »Liegt er auf der rechten Seite, dann kann der Partner gut an die Milz greifen. Liegt er auf der linken, ist die Leber gut erreichbar.«

Ob Sitzen oder Liegen – es soll sich vor allem angenehm anfühlen, sagt Hansen. Und dann hat sie noch einen Tipp aus ihrem Erfahrungsschatz: »Übung 6 fühlt sich im Liegen sogar oft noch angenehmer an. Vor allem, wenn der Rollifahrer im Sitzen nicht die Beine durchstrecken kann.«

Allein oder zu zweit

Jede Übung ist mit Partner, aber auch allein durchzuführen. Es braucht nur etwas Improvisation. Wer seine Arme bewegen kann, kann beispielsweise Übung 2 allein durchführen: Einen Arm nach oben strecken, sich mit der anderen Hand nach hinten an die Rippen fassen und von dort nach innen, also zum Herz hin, ausstreichen. Dabei den gestreckten Arm nach oben leicht heben und vorsichtig ganz zart dehnen.

Wohlfühlen ist Trumpf

Wichtig ist, dass der Behandelte sich wohlfühlt. Die Übung 1 beispielsweise mögen manche Menschen nicht. »Für manche kann es sich unangenehm anfühlen, wenn jemand einem die Hände so eng an den Hals legt«, weiß Sabine Hansen. »Deswegen ist es wichtig, sofort Bescheid zu sagen, wenn etwas nicht passt.« Und dann? Dann sucht der Partner mit seinen Händen eine bessere Position, etwas weiter weg in Richtung Schultern.

Jede Bewegung ist hilfreich

Osteopathie ist in Deutschland ein Heilberuf mit über 1.300 Ausbildungsstunden. Ist es nicht fahrlässig, Laien solche Übungen an die Hand zu geben? »In dieser für alle schwierigen Zeit braucht das Brustgewebe Bewegung«, sagt Sabine Hansen. Und grenzt ein: »Gefährlich wird es nur bei Osteoporose oder bei frischen Narben.« 

Ansonsten aber gilt: »Jede Bewegung ist besser als keine Bewegung.« Die Gefahr, dem Partner beim Umlagern etwas auszukugeln, weil er keine Schmerzen spürt, sei wesentlich größer, als bei dieser zarten Methode etwas falsch zu machen. Wichtig sei allein das Gefühl der subjektiven Sicherheit: Wer behandelt wird, für den muss es sich angenehm anfühlen. 

Osteopathie ist eine eigenständige Diagnose- und Heilkunde, die sich seit 1874 aus den Erfahrungen des Arztes Andrew Taylor Still zuerst in den USA entwickelt hat. Sie versteht den Menschen als untrennbare Einheit aus Körper und Geist und kennt Zusammenhänge zwischen einzelnen Körperstrukturen. In einem umfassenden Gespräch erfasst der Osteopath den Gesundheitszustand des Patienten, die Untersuchung und Behandlung erfolgt dann fast ausschließlich mit den Händen. Spannungen, Blockierungen, Stauungen und Irritationen werden durch gezieltes Abtasten von Gewebe gefunden und sodann durch gezielte Techniken gelöst. In England und den USA ist die Osteopathie eine eigenständige Heilkunde; in Deutschland dürfen sie Ärzte und Heilpraktiker ergänzend zur Schulmedizin anwenden.

»Selbst, wenn es nur ein bisschen Bewegung ist, die wir durch so eine Berührung von außen erhalten können: Alles, was den Körper in Bewegung bringt, hilft«, sagt Hansen.

Selbst Atmen allein massiert schon. In Übung 5 beispielsweise atmet der Empfangende in die Hände des Partners, die unter dem Bauch liegen. Dadurch wird der Bauch massiert und bewegt. Und dann setzt die Osteopathin noch nach: »Für das Immunsystem ist jede Bewegung besser als keine Bewegung. Und sei sie noch so klein.« Auf den Punkt gebracht: »Alles ist besser, als still zu sein.« 

1 Schlüsselbein öffnen

Lege deine Hände auf die Schultern des Empfangenden, die Zeigefinger liegen dabei in der Kuhle hinter dem Schlüsselbein. »Pumpe« mit entspannten Händen ganz zart Richtung Herz.

2 Schultern öffnen

Nimm Kontakt mit der Hand des Empfangenden auf. Halte sie und beginne, sie sachte und in Zeitlupe um ihre Achse zu drehen. Dies bewirkt eine Drehung im Ellbogen, die bis in die Schultern hinaufwandert und sich ins Schlüsselbein fortsetzt. Der Ellbogen des Empfangenden kann dabei auf einer Fläche aufgestützt sein oder auch nicht.

3 Rippen öffnen

Halte den gestreckten Arm des Empfangenden mit deiner Hand und streiche mit deiner anderen Hand die Rippen des Brustkorbs in Richtung Herz aus.

4 Leber- und Milzpumpe

Greife an die unteren Rippen der rechten Seite. Dort liegt die Leber. Führe eine sanft haltende und zur Mitte hin pumpende Bewegung aus. Wiederhole das auf der linken Seite, wo die Milz liegt.

5 Bauchpumpe

Lege deine Hände unter den Bauch des Empfangenden. Wenn er gut in deinen Händen liegt, ziehst du etwas nach oben. Der Empfangende kann sich nun nach vorn beugen und in deine Hände »hineinatmen«.

6 Füße schuckeln

Nimm die Fußsohlen des Empfangenden in deine Hände. Beuge die Füße, sodass die Zehen Richtung Schienbein zeigen. Beginne durch sanftes Pumpen Richtung Kopf, den Körper zu »schuckeln«. Die Bewegung sollte sich nach oben fortsetzen.

Für die Allgemeinheit hat die Osteopathie-Praxis Hansen (www.ofora.de) eine Abwandlung dieser Version online gestellt:

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