Ein Drittel Rad

von Hilmar Schulz

Mann steht vor Burgruinr und hält ein Teilrad in den Händen
Foto: Dipl. Ing. Christian Czapek

Christian Czapek macht das Umsetzen leichter

Dass das Rad am Rollstuhl Segen und Fluch zugleich ist, erkannte Christian Czapek schon in jungen Jahren: Für die Fortbewegung ist es unerlässlich, für den Menschen immer wieder ein Hindernis. Die Lösung des Problems fand der Ingenieur erst im Alter. Seine Erfindung ist so patent, dass sie über die Szene hinaus für Furore sorgt. Manche Nutzer schicken Czapek aus Dankbarkeit jetzt Selbstgebackenes.

An einem Abend vor fünfzehn Jahren sagte Christian Czapek zu seiner Frau: »Ich habe da eine Idee, ich gehe noch mal kurz ins Atelier.« Dort am Reißbrett verbrachte er die ganze Nacht. Als er sich um sechs Uhr morgens ins Bett legte, hatte Czapek die Erfindung seines Lebens gemacht: das teilbare Rad. Zu seiner Frau sagte er nur zwei Silben: »Ich hab’s«.

Hinter Christian Czapek lag ein sehr langer Weg. Bereits in seinem Studium beschäftigte sich der spätere Ingenieur und Designer mit dem Thema Rollstuhl. Damals fuhr er – obwohl körperlich nicht eingeschränkt – sogar ein Vierteljahr selbst mit einem Rollstuhl, um die Probleme direkt zu erfahren. Und davon gab es mehr als erwartet: »Manchmal war es schrecklich:
Ich kam irgendwo nicht rein oder von einem Bürgersteig nicht runter.«

Immer im Weg

Zu dieser Zeit, Anfang der 1970er Jahre, entwickelte er mit zwei Kommilitonen und unterstützt von seinem Lehrer, dem Stardesigner Luigi Colani, einen selbstaufstehenden Rollstuhl. Darin konnte man ganz normal sitzen, sich aber auch angurten und mittels einer Spindelhydraulik aufrichten, um so beispielsweise höhere Regale zu erreichen. Oder eine Liegefläche daraus machen, um so einfach ins Bett hinüberrollen zu können. Das Gerät wurde patentiert, doch Czapek stellte bald fest: »Der Rollstuhl ist toll, aber das Rad immer wieder im Weg«.

»Welch eine Erleichterung, ließe sich das Rad einfach wegzaubern«

Denn so unerlässlich es für die Fortbewegung von gelähmten Menschen ist, im täglichen
Leben bildet das Rad auch eine Barriere – ein Ärgernis, seit es den Rollstuhl gibt. Jedes Umsetzen erfordert eine aufwändige Prozedur: nach vorne kippen, heben, drehen, absetzen. Auch für eine möglicherweise helfende Person ist der Transfer eine Kraftprobe, die den Rücken extrem belasten kann.

Ein Viertel weniger

Welch eine Erleichterung wäre es für alle Beteiligten, ließe sich dieses störende Rad zwischendurch einfach wegzaubern – oder zumindest ein Teil davon. Man müsste nur ein Segment geschwind herausnehmen und wieder einsetzen können, von dieser Lösung war Czapek überzeugt. Und sie würde Millionen von Menschen das Leben erleichtern. Der junge Ingenieur experimentierte, entwarf, zersägte und tüftelte. Am ersten Modell erforschte Czapek, wie sich ein Viertel des Rades herausnehmen und wieder fest einsetzen lässt. Zwar bot die Aussparung ausreichende Bewegungsfreiheit, aber die Konstruktion blieb instabil: »Ein Rad auseinanderzunehmen und dann wieder stabil zusammenzufügen – fast unmöglich.« Zumindest, wenn man es viertelt.

Die Idee ließ ihn niemals los, blieb auch während der Jahrzehnte seines Berufslebens immer im Hintergrund. Czapek erfand hundert andere Dinge: den ersten Elektro-Roller, lange vor dem Boom. Einen achteckigen, multifunktionalen Wohnwürfel, mit dem sich ganze Städte bauen ließen. Er entwarf Möbel, einen selbstaufblasenden Regenschutz fürs Fahrrad und sogar ein Gezeitenkraftwerk, bei dem eine Walze an Stahlseilen in der Meeresströmung Strom produziert. Die meisten Ideen brachten es nie zur Marktreife, denn dafür hätte es Unsummen gebraucht und man müsste ganze Konzerne hinter sich haben. »Außerdem war ich immer zu früh.«

Hand fertigt eine Zeichnung mit einem Kugelschreiber an
Foto: trivida / Dipl. Ing. Christian Czapek

Ein erster Prototyp

Der Geistesblitz überkam Czapek unvermittelt: Wenn ich das Rad statt in vier in drei Segmente teile, ist es stabil. Dazu schafft der 120-Grad-Winkel auch einen größeren Freiraum. Fortan verwendete er seine gesamte Energie auf sein teilbares Rollstuhlrad. Trotzdem sollte bis zum fertigen Produkt noch viele Jahre dauern. »Immer Mordszeitabschnitte dazwischen.« Als er den ersten Prototypen aus Metall in den Händen hielt, war er schlicht sprachlos und seine Frau weinte, so gut funktionierte die Konstruktion. Jetzt ging es ums Material. Metall, selbst Aluminium, war zu schwer und Kunststoff damals noch nicht hart genug. Dabei musste die Verarbeitung äußerst belastbar sein, denn das teilbare Rad sollte sich ja als medizinisches Hilfsmittel bewähren – »und das muss 300-prozentig sein!« Czapek reiste nach Schweden, zeigte sein Modell dem Chef einer Fabrik, die Kohlefasern verarbeitet; der starrte auf das Modell und sagte dann einfach: »Das schreit nach Carbon!« Wochen später waren die ersten Räder fertig, das Ergebnis, so Czapek, war ein Traum.

»Das schreit nach Carbon, sagte der Chef«

Geld beim Wein

Als nächstes ging es um Geld. Um sein Rad auf den Markt zu bringen, brauchte es üppige Finanzierung. Zwar hätten alle Gesprächspartner große Augen gemacht, doch die Banken zeigten sich zurückhaltend, auch Crowdfunding lief nicht wirklich an. Auf seinen Investor traf Czapek ganz zufällig, praktisch um die Ecke in seinem Heimatort Staufen, beim abendlichen Wein in einer Wirtschaft: ein wagemutiger Geschäftsmann, der schnell überzeugt war und das Projekt bis zur Marktreife mitentwickelte.

Die Montage findet nun in einer kleinen Manufaktur statt, im Münstertal bei Staufen. Hier entstehen in Handarbeit rund 200 Räder im Monat. Eigentlich ließen sich viel größere Stückzahlen absetzen, aber »wir wollen die Räder auch selbst bauen, denn das macht Spaß.« Und ein Name musste gefunden werden. Der ursprüngliche Name, »Chapwheel«, war bereits vergeben. Also heißt das Rad nun Trivida, in Anspielung auf seine drei Teile.

In der Öffentlichkeit schlug die Erfindung hohe Wellen. Bei Vorstellungen auf Messen sind die Leute begeistert. Czapek gibt Interviews, ist im Radio und tritt im Fernsehen auf. Kürzlich war er in der Fernsehshow »Die Höhle des Löwen«. Und er wird mit Preisen wie dem German Innovation Award überhäuft.

Rollstuhl mit Teilrad
Foto: trivida / P+L Innovations GmbH
Drei Personen stehen zusammen und haben ein und Urkunde in der Hand
Foto: trivida / Kristina Vogel

»Es macht Spaß, die Räder selbst zu bauen«

Christian Czapek genießt den späten Erfolg. Besonders freue er sich über all die persönlichen Mitteilungen. Jeden Tag erhalte er zwanzig E-Mails von Leuten, die sich über seine Erfindung freuen. Vor kurzem traf ein Paket mit einer Danksagung und einem selbstgebackenen Käsekuchen ein – »dafür lohnt es sich doch, zu arbeiten«.


P+L Innovations GmbH

Am Krozinger Weg 11
79189
Bad Krozingen

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