Starke Raupen, dicke Reifen

von Online Redaktion

Lösungen für den Strand

Der Alptraum eines jeden Rollstuhlfahrers heißt: Sand. Einmal hineingeraten ist es aus mit der Fortbewegung, es gibt kein vor oder zurück mehr. Einige Hersteller haben sich auf genau dieses Problem spezialisiert: Direkt ran an die »Waterkant« oder gemütlich am Strand entlang geht es heutzutage mit ganz unterschiedlichen Gefährten, die es mit zermahlenen Muscheln auch feinster Körnung aufnehmen können. Wir stellen drei Lösungen vor: Die jüngste Entwicklung ist eine Raupe, die per Fernbedienung aus dem Auto fährt und dem eigenen Rolli eine sichere Standfläche für Spaßtouren bietet. Andere Modelle ermöglichen Meeresnähe durch ihre speziellen Reifen. Für alle gilt: Auf zur See!

Rollstuhlfahrer mit Raupen Antrieb am Strand
Foto: Stricker privat

Freedom Trax
AGIAX – OFFIZIELLER HÄNDLER
Agop Ademann
Im Weidenbruch 6, 51061 Köln
Mobil: 0178 681 88 01
Tel: 0221 977 786 43
info@agiax.de
www.agiax.de

FREEDOMTRAX – DIE RAUPE

Das US-amerikanische Produkt löst das Problem auf ebenso radikale wie einfache Weise: Wo Räder nicht weiterkommen, helfen Ketten. Freedom Trax ist ein kleines Raupenfahrzeug, ein flaches, elektrisch angetriebenes Zusatzmodul, auf dem der eigene Rollstuhl befestigt wird und das über jeden Untergrund gleitet. Gesteuert wird der Freedom Trax wie ein normaler E-Scooter per Joystick.

Das Gerät ist für verschiedene Spurweiten von Rollstuhlrädern einstellbar und wird von zwei Motoren angetrieben. Die Geschwindigkeit liegt bei fünf Stundenkilometern, eine Akku-Ladung reicht für knapp acht Kilometer, ein Extra-Akku verdoppelt die Reichweite. Außer diesem Modell gibt es noch eine Variante mit festmontiertem Sitz statt Rollstuhl.

»Gesteuert wird die Raupe wie ein normaler E-Scooter«

Raupen Antrieb für Rollstuhl
Foto: Stricker

»Mit dem Freedom Trax kommt man überall hin, nur nicht die Treppe rauf«, sagt Agop Ademann. Der Ingenieur hat das Gefährt gründlich getestet und ist von seinem Nutzwert vollkommen überzeugt. Über seine Firma AGIAX vertreibt Ademann die Geräte nicht nur, er hat auch an deren Entwicklung einen kleinen Anteil. Ademann sitzt selbst im Rollstuhl, seit er fünf Jahre alt ist – Kinderlähmung. Weil er gerne bastelt und experimentiert, hat er ein Leben lang Dinge für Rollifahrer erfunden. Zur Zeit entwickelt er einen kleinen Apparat für den Hochleistungssport, der sämtliche Bewegungen und Beschleunigungen eines Rollstuhls messen kann, was bislang nur ein Labor leisten konnte. Seine Projekte finanziert er mit seiner Fahrradreparaturwerkstatt. Mit dem Problem des Rollstuhls auf weichem Untergrund wie Sand hat Ademann sich lange beschäftigt. Er selbst war oft an den breiten Nordseeküsten Hollands in Urlaub.

»Ich kenne die Augen von den Rollstuhlfahrern, die am Strand sitzen und das Meer aus der Ferne betrachten.« Also entwarf er ein Raupenfahrzeug, mit dem ein Rollstuhlfahrer direkt ins Wasser fahren kann. Die Fertigung konnte sein kleines Unternehmen allerdings nicht selbst bewerkstelligen. Auf der Suche nach einem Produzenten stieß Ademann auf eine US-Firma, die ihr Gerät weitestgehend mit Teilen aus dem Baumarkt konstruiert und dabei eine ganz ähnliche Lösung gefunden hatte – manche Dinge lägen einfach in der Luft. »Wir haben Meinungen und Ideen ausgetauscht.« Ademanns Beitrag: Schienen, auf denen Leute mit fitten Armen selbst auf die Raupe fahren und den Rollstuhl fixieren.

»Unser Anteil ist klein, aber auch eine Bestätigung für die mutigen Leute da, die das angefangen haben.« Und wer sind die Käufer? Ademann überlegt: Das seien überwiegend sehr aktive, sportliche Nutzer, die sich sagen, dass die Freiheit nicht umsonst zu bekommen ist. Tatsächlich hat sich in den vergangenen zwei Jahren die Produktion drastisch verteuert. Der Verkaufspreis betrug in den USA ursprünglich 5 000 Dollar, in Deutschland liegt er derzeit bei über 8 500 Euro. Doch Ademann ist zuversichtlich, er arbeitet weiter
an technischen Lösungen: »Vielleicht kann man so etwas zukünftig hier einmal viel günstiger produzieren.«

ZOOM – DER GELÄNDE-SCOOTER

Elektrischer Geländerollstuhl  mit großen Rädern mt Fahrerin am Strand
Foto: Fotos: Elchtec

Der Zoom ist ein elektrisches Geländefahrzeug mit großen Rädern. Damit das Gefährt auch im Gefälle und bei starken Kurven nicht umkippt, haben die Konstrukteure einiges zusammengebracht: Die starke Neigung der Räder sorgt für Seitenstabilität, jedes dieser Räder behält auch auf Rumpelstrecken Bodenkontakt und wird von einem eigenen Motor angetrieben. Dazu liegt der Schwerpunkt durch den tiefgelegten Sitz weit unten. Und da er nicht gefedert ist, ist der Zoom sehr verwindungssteif. Letzteres klingt unbequem, dürfte aber bei Schrittgeschwindigkeit kaum stören. Die Reichweite beträgt im Gelände 20 Kilometer, auf ebener
Strecke bis 40, die Höchstgeschwindigkeit 20 Km/h. Es war 2001 nördlich von Stockholm, als Designer Karri Zanderléhn und Ingenieur Mikael Lövstrand das Gefährt entwarfen. Lövstrands Frau war gerade an Multipler Sklerose erkrankt, auf Ausflüge in die Natur wollte das Paar nicht verzichten, also musste eine technische Lösung her. Zanderléhn und Lövstrand fanden einen markttauglichen Namen für das flotte Gefährt, das sie ab 2009 serienmäßig produzierten, ihre Firma tauften sie sinnigerweise Zoomability. Aus ihrem Unternehmen haben die beiden sich längst zurückgezogen, doch die Produktion findet immer noch am selben Ort statt.

»Besondere Dinge als Problemlöser«

Obwohl im Laufe der Zeit am Zoom kleine Veränderungen etwa an der Steuerungstechnik oder den Modulen vorgenommen wurden, ist die Grundkonstruktion dieselbe wie vor 20 Jahren. »Das war von vornherein super durchdacht«, sagt Michael Schmitz, der den Zoom hierzulande vertreibt. Der Geschäftsmann arbeitete lange in leitender Funktion in einem Unternehmen, das auch Sanitätshäuser belieferte. Er blieb in der Branche und machte sich selbständig. Das allererste Produkt, das er vertrieb, war ein schwedischer Rollator namens Volaris, extrem leicht, sehr stabil, gut designt. Weil der aber nicht genug abwarf, nahm Schmitz peu à peu weitere Marken hinzu, vornehmlich aus Skandinavien. Dabei hat Schmitz sich auf die Nischen spezialisiert: »Wir suchen keine Massenware, sondern besondere, nutzerbezogene Dinge, die als Problemlöser entwickelt wurden. «Vor einigen Jahren ist er so beim Zoom fündig geworden.

Elektrischer Geländerollstuhl mit großen Rädern
Foto: Fotos: Elchtec

Wenn er über das Fahrzeug spricht, klingt Begeisterung mit. Ja, er selbst habe auch
schon mal drin gesessen. Von den Nutzern bekommt er durchweg positive Rückmeldungen. Die Leute sprechen von Freiheit: »Wir sind jetzt wieder mobil und können das machen, was wir früher gemacht haben.« Wie etwa ein junger Vater, der mit dem Zoom auf den Sandwegen der Lüneburger Heide unterwegs ist – und seine Kinder fahren mit Vergnügen mit. Schmitz: »Das Gerät stigmatisiert nicht, es ist auch cool. «Allerdings: Die Chancen, den Zoom als Ersatz für einen Rollstuhl genehmigt zu bekommen, sind sehr gering. Schmitz kann sich nur an einen Maler erinnern, dessen Werkstatt im hügeligen Gelände liegt – und an einen Landwirt, der jetzt damit auf Matschwegen und Äckern unterwegs ist. Äußern die Kunden auch Wünsche? »Wir arbeiten mit den Schweden gerade an einer Lösung, um einen ordentlichen Anhänger dranzubekommen.«


Zoom
Elchtec by Volaris Deutschland GmbH
Michael Schmitz
Schlosserstraße 21, 51789 Lindlar
Tel: 02266 479 43 00
info@volaris-online.de
www.zoomability.eu
www.zoomability.com/company
www.elchtec.de

»Drei Monate bis zum fertigen Unikat«

BEACHER – MIT BALLONREIFEN

Rollstuhl mit großen Rädern
Foto: Elina’s Fahrwerk
Rollstuhl mit großen Rädern mt Fahrerin am Meer im Sand
Foto: Elina’s Fahrwerk

Wer einfach eine praktikable Lösung sucht, um über den Strand zu rollen, und nicht viel Geld ausgeben kann oder will, wird bei Klaus Peter fündig. Der Self-made-Ingenieur aus dem Siegerland stellt nicht nur Fahrradanhänger und Buggies her, sondern auch dreirädrige Spezialrollstühle, die mit ihren großen dicken Reifen sicher durch Schnee, Schlamm und Sand kommen. Bei seinen »Fun-Rollis« verzichtet Peter auf Motorantrieb und High Tec. Wenn jemand schiebt, kommt man mit ihnen gut durch Wald und Wiese. Der Beacher mit seinen Riesenballonreifen ist für den Einsatz auf Sand und Watt optimiert. Klaus Peter war nicht immer Bastler, lange Jahre hat er Autos verkauft – bis bei seiner Tochter Elina im Alter von vier Jahren eine extrem seltene Stoffwechselerkrankung diagnostiziert wurde, eine »metachromatische Leukodystrophie«, die das gesamte Nervensystem einschließlichdes Gehirns schädigt und bislang nicht heilbar ist.

Dieser Einschnitt war für Klaus Peter der Anlass, sein Leben grundlegend zu verändern. Er gab seinen Beruf auf und erforschte, wie der ideale Fahrradanhänger für einen Rollstuhl inklusive einer Person konstruiert sein muss. Denn er wollte seiner Tochter trotz der Behinderung unter allen Umständen weiterhin Ausflüge in die Natur ermöglichen. Die Leidenschaft des Ingenieurs war geweckt. Peter baute immer neue Geräte: vierrädrige Buggies, dann verschiedenste Dreirad-Rollis fürs Gelände. Als Firmennamen wählte er schlicht Elina’s Fahrwerk, denn sie ist die erste Pilotin. Sämtliche Fahrzeuge testet die Familie auf Herz und Nieren.

Für seine Konstruktionen, die alle in der eigenen Werkstatt in Handarbeit entstehen, verwendet Peter ausschließlich Einzelteile namhafter Anbieter, er verwendet grundsätzlich Materialien, die deutlich belastbarer als nötig sind, Sicherheit hat oberstes Gebot. In Zukunft wird Klaus Peter bei den dreirädrigen Outdoor-Rollstühlen die Angebotspalette auf die Modelle Woodster und Adventure und eben den Beacher für Ausflüge ans Meer konzentrieren. Ins Salzwasser kann der Beacher zwar nicht, aber aufs Watt allemal. Die Produkte haben zwar keine Hilfsmittel-Nummer, sind aber mit Preisen von unter 1 000 Euro wesentlich erschwinglicher als andere Lösungen.

Elina’s Fahrwerk
Geschäftsführer: Klaus Peter
Bahnstrasse 15; 57548 Kirchen /Sieg
Tel: 02741 93 97 14
Mobil: 0171 37 888 12
info@Elina-Fahrwerk.de
www.elina-fahrwerk.de

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