Exoskelette

von Hilmar Schulz

Gehroboter werden allmählich alltagstauglich

Fortbewegung bedeutet für eine gelähmte Person bislang, von Rädern abhängig zu sein. Genauer: dem Rollstuhl. Doch die Ära dieses Fahrzeugs neigt sich dem Ende zu. Denn ein lang gehegter Traum scheint sich jetzt zu er- füllen: Leichte Gehroboter zum Anschnallen – Exoskelette – helfen Querschnittgelähmten wieder auf die Beine. Möglich ist das durch die Kombination neuester Techniken. Schon jetzt gibt es zahlreiche Hersteller auf dem Markt. Die Apparate werden die Mobilität von gelähmten Menschen revolutionieren und sich gleichzeitig günstig auf deren Gesundheit aus- wirken. Wir geben einen Überblick und stellen einige Geräte vor.

Grafik: Verschiedene Gehrobotertypen
Illustrationen: Margarethe Quaas

Mit der Maschine zu verschmelzen, um körperliche Schwächen zu überwinden: Davon träumen Menschen schon lange. Stärker sein, schneller, ausdauernder – auf dem Schlachtfeld, bei der Arbeit, aber auch, um körperliche Behinderungen auszugleichen. Die Idee einer solchen Maschine taucht erstmals 1868 auf, als der Er- finder Zadoc Dederick einen dampfgetriebenen Roboter patentiert. Im selben Jahr beschreibt der Autor Edward Ellis in einem Groschenroman das erste dampfmaschinenbetriebene Exoskelett, mit dem der Held fast 100 Km/h schnell durch die Prärie rast, um Jagd auf Bisons und Indianer zu machen. Das erste Patent für ein mechanisches Exoskelett wurde dann 1890 angemeldet. Roboteranzüge geisterten fortan durch Science Fiction-Romane und Comics, das Militär erforschte deren Möglichkeiten. Früh kam auch der Gedanke auf, dass ein solches Exoskelett gelähmte Menschen wieder stehen, gehen und laufen lassen könnte.

Zukunft ohne Rollstuhl

Mitte des 20. Jahrhunderts wurde es mit »Hardi- man« konkreter: General Electric baute 1965 im Auftrag des Militärs den Prototyp eines künstlichen Exoskeletts, das Soldaten Superkräfte verleihen und Schutz vor Kugeln, Säure und gar Radioaktivität bieten sollte. Das schwerfällige Gerät erwies sich jedoch als unbeherrschbar. Denn die Interaktion zwischen Mensch und Maschine ist höchst komplex. Um die Bewegung eines ganzen Roboteranzugs zu steuern, sind an- spruchsvollste Mechanik und immense Rechenleistung nötig.

Junge mit Gehroboter fängt Ball
Foto: Wandercraft DR

Erst mit schnelleren, immer kleineren Computern nahm die Entwicklung nach der Jahrtau- sendwende Fahrt auf. Seit einigen Jahren stehen einsatzfähige Exoskelette zur Verfügung. Die aktuellen Exoskelette auf dem Markt sollen körperliche Arbeit erleichtern, Schlaganfallpatienten beim Wiedererlernen des Gehens helfen und Querschnittgelähmte auf die Beine bringen.

Noch immer sind die Geräte recht groß und schwer, auch die Geschmeidigkeit der Bewegungsabläufe reicht noch nicht an die eines biologischen Körpers heran. Wer aber einen querschnittgelähmten Menschen mit einem Exoskelett gehen sieht, erkennt: Diese Technik wird den Rollstuhl in einer nicht mehr fernen Zukunft überflüssig machen.

Auf Augenhöhe bewegen

Die Vorzüge von Exoskeletten beschränken sich dabei nicht allein auf die Mobilität. Seit einigen Jahren wird ihre Wirkung auf Nutzer klinisch untersucht. Die Erfahrungen zeigen, dass Exoskelette die körperliche und psychische Gesundheit fördern. So zeigen sich deutliche Verbesserungen beim Blasen- und Darmmanagement, das körperliche Wohlbefinden insgesamt nimmt zu. Die erweiterte Aktivität wiederum ist positiv für die Psyche und sie bedeutet mehr Teilhabe – auch da man sich mit einem Exoskelett buchstäblich auf Augenhöhe als Gehender unter Gehenden bewegt.

Seit ungefähr 20 Jahren wächst dieser neue Markt. Es gibt heute zahlreiche Unternehmen, die einsatzfähige robotische Exoskelette herstellen. Viele dieser besonderen Orthesen unterstützen oder ersetzen einen Arm oder ein Bein.

elektronische Gehhilfe
Foto: Prof. Sankai University of Tsukuba / CYBERDYNE Inc.

Den Rollstuhl in Zukunft überflüssig machen

Auch Komplettsysteme, die die gesamte Tätigkeit von der Hüfte bis zum Fuß übernehmen, werden weltweit entwickelt. Äußerlich ähneln sie einander: Es sind mechanische Apparaturen, elektrisch betrieben, mit allerhand Sensoren und Computersteuerung. Sie unterscheiden sich hinsichtlich der Anwendung. Als Therapiegeräte können sie helfen, nach einem Schlaganfall verlorene Fähigkeiten wiederzuerlangen oder zumindest zu erhalten. Als Gehhilfen dienen sie schlicht der Fortbewegung.

Aktuelle Anwendungen

Display zur Steuerung des Gehroboters
Foto: Prof. Sankai University of Tsukuba / CYBERDYNE Inc.

Die Produzenten heißen Angel Robotics (Südko- rea), HAL Cyberdyne (Japan) oder Rex Bionics (Neuseeland), um nur einige zu nennen. Sicher gehen kann man in all diesen Exoskeletten bislang nur mit zusätzlichen Unterarmstützen. Als Ausnahme zeigte das französische Unter- nehmen Wandercraft auf dem Cybathlon, dass es auch ohne geht. Die meisten dieser Modelle sind bisher auf die Reha in Kliniken beschränkt. So in Deutschland auch EksoNR, das Gerät ist ausschließlich als Therapiegerät für die Neuro- rehabilitation nach einem Schlaganfall oder Querschnitt konzipiert und nicht ohne zerti- fizierten Physiotherapeuten zu benutzen. Das Indego von Parker Hannifin wurde ebenfalls für die Therapie entwickelt, für den Alltagseinsatz als Gehgerät wird es derzeit getestet.

Das ReWalk Personal 6.0 Exoskelett ist jetzt das erste in Deutschland zugelassene Gerät auch für den persönlichen Alltagsgebrauch. Das Unter- nehmen wurde in Israel von einem Ingenieur der Elektrotechnik gegründet: Amit Goffer, seit einem Unfall 1997 selbst Tetraplegiker, konnte nach eigener Aussage den Rollstuhl als einzige Antwort auf die Lähmung nicht akzeptieren. Als Goffer den Stand der Technik überblickte, stellte er fest: Die Entwicklung von Exoskeletten verfolgte überwiegend industrielle oder militärische Ziele. Dabei – so der Gedanke des Ingenieurs – könnte die sinnvollste Anwendung der Mobilität gelähmter Personen dienen.

Mann wird von einer Therapeutin beim Gehtraining unterstützt
Foto: EksoNR™ by © Ekso Bionics

Elektronik an der Hüfte

In seiner Garage begann Goffer ein Startup-Projekt. Seine Verbindung zur renommierten Tech- nion-Universität verschaffte ihm Unterstützung, 2001 gründete er das Unternehmen ReWalk. Viele Probleme waren zu lösen. Einerseits ist ein Exoskelett eine hochkomplexe Apparatur, die nur mit einem leistungsfähigen Computer funktioniert. Andererseits sollte der Nutzer selbst die Bewegung voll und ganz bestimmen können – keinesfalls lediglich passiver Passagier des Roboteranzugs sein. Außerdem soll die Maschine keine Anstrengung abnehmen, die eine Person noch selbstständig leisten kann, schließlich können sich manche gelähmte Menschen durch- aus noch eingeschränkt bewegen. Der Prototyp wurde ab 2004 in Israel, Europa und den USA umfangreichen klinischen Studien unterzogen. Denn ReWalk war von Anbeginn als praktisches Hilfsmittel für jeden Tag konzipiert.

Als Hilfsmittel für jeden Tag konzipiert

Da eine querschnittgelähmte Person nicht mehr stehen kann, ist eine starre Struktur nötig. Re- Walk ist eine Metallkonstruktion an den Beinen und um den Beckenbodenbereich. Im Hüftpack befindet sich die gesamte Elektronik inklusive Batterien und Computer. Der wertet die Informationen der Sensoren aus und sendet Befehle an die Steuerung der Beine. Die Motoren kommen von einer Firma, die auch Antriebe für die Mars-Rover herstellt. Die Batterieleistung reicht derzeit bei Dauernutzung für rund zehn Kilometer oder knapp vier Stunden, abhängig vom Gewicht des Trägers, dem Terrain sowie dem Grad der Unterstützung.

Mann geht mit Gehroboter eine Treppe hinunter
Foto: ReWalk Robotics

Schrittlänge einstellen

Wer ein ReWalk-Exoskelett nutzen will, muss sich einer strengen Prozedur unterziehen. Zuerst wird gemessen, wieviel zusätzliche Kraft der Nutzer überhaupt benötigt, das System kann unterstützen oder auch die gesamte Leistung übernehmen. Dann werden die Beine vom Hüft- zum Kniegelenk, vom Knie- zum Fußgelenk sowie der Beckenumfang ausgemessen und das System millimetergenau an die Person angepasst.

Freude, wieder unter die Leute gehen zu können

Um dann einen möglichst natürlichen, individuellen Bewegungsablauf zu erzielen, nimmt ein Physiotherapeut Hard- und Software-Einstellungen vor, stellt Schrittlänge und -höhe ein und das Ausrollen von der Ferse hin zur Fußspitze. Ein gutes Gangbild dient nicht nur ästhetischen Ansprüchen. Wenn es etwa einem Stampfen gliche, würden die Erschütterungen größten Druck auf Knie- und Hüftgelenke ausüben und schäd- liche Vibrationen durch den Körper schicken.

Fotos: ReWalk Robotics

Gehen lernen

Die praktische Schulung beginnt mit dem Aufstehen, Balance halten, Hinsetzen. Wer jahrelang in einem Rollstuhl gesessen hat, hat die Bewegungsmuster vergessen und muss den Gleichgewichtssinn trainieren. Auch der Kreis- lauf muss sich stabilisieren. Und Anfänger lernen, die Unterarmstützen so zu positionieren, dass sie nicht hinfallen. Für all das ist es nötig, sich auf neue Art selbst wahrzunehmen. Thera- peuten benutzen dafür auch Spiegel.

Dann kommt die Fortbewegung. Wer sich mit dem Oberkörper nach vorn beugt, löst damit einen Sensor aus und los geht’s. Zahlreiche weitere Sensoren sind wichtig, um das System auszutarieren und es bei einer unerwünschten Bewegung zu stoppen – eine wichtige Sicherheitsmaßnahme, etwa bei einer Spastik. Dann folgen peu à peu die ersten Schritte, schließlich das Gehen im Gelände und endlich sogar Treppensteigen.

Aufbau eines Gehroboters
Fotos: ReWalk Robotics

Schnäppchen der Zukunft

Das Gehen in einem Exoskelett erfordert ein Höchstmaß an Koordination. Anfangs ist es äußerst anstrengend und beansprucht die gesamte Aufmerksamkeit. Dass es durchaus möglich ist, diese Arbeit im Laufe der Zeit gänzlich unbewusst auszuüben, zeigt Sybille Reinhold. Die Frau in mittlerem Alter ist seit sieben Jahren vom zehnten Brustwirbel abwärts inkomplett gelähmt und auf einen Rollstuhl angewiesen. Auf der IRMA 2022 hat sie das ReWalk vorgeführt. Dort war es ihr möglich, mit dem Exoskelett zu spazieren und gleichzeitig ein Gespräch zu führen. Für uns ein verwirrender und bewegender Moment: Da geht eine Querschnittgelähmte – und plaudert unterdessen! Sibylle Reinhold erzählt, wie diese Art der Bewegung für sie eine ganze Anzahl von körperlichen Problemen verringert habe, welche Freude es sei, wieder unter die Leute gehen zu können. Diese Form der Mobilität, so scheint es, ist für Quer- schnittgelähmte die Zukunft.

Mann pflügt Äpfel vom Baum mit Hilfe des Gehroboters
Fotos: ReWalk Robotics

Derzeit sind die Kosten noch immens, ein Exo- skelett schlägt mit 100 000 Euro und mehr zu Buche. Doch erinnern wir uns: Irrwitzig teuer waren auch die ersten Personal Computer oder Flachbildfernseher, heute sind diese Geräte Schnäppchen im Discounter. Gleiches wird die Massenproduktion von Exoskeletten mit sich bringen.

Direkte Kommunikation

Und wie wird die Weiterentwicklung aussehen? Mela Ikanovic von ReWalk sagt, die Nutzer wünschten sich leichtere und schnellere Apparaturen, auch für den Urlaub. Und ausdauerndere Batterien. Auf längere Sicht sei das Ziel klar die Reparatur der unterbrochenen körpereigenen Nerven. Doch obwohl der wissenschaftliche Fortschritt in diesem Feld rasant ist, ist es ein weiter Weg bis zu diesem neurochirurgischen Durchbruch. Deshalb, so Ikanovic, gehe es der- zeit schlicht um aufrechte Mobilität. Sie wünscht sich, dass Exoskelette alltagstauglicher werden und Unterarmgehstützen irgendwann nicht mehr nötig sind, so dass auch Tetraplegiker da- mit mobil sein können. Und dass sie funktionieren, ohne dass wir sie noch wahrnehmen: „Eine direkte Kommunikation zwischen dem neuen externen Körperteil und mir selbst“.

Indego

www.indego.com

Ekso


Ekso Bionics Europe GmbH
Friesenweg 20
22763 Hamburg,
Tel.: +49 40 800 4049 20
www.eksobionics.com/de

Rewalk


ReWalk Robotics GmbH
Leipziger Platz 15, 10117 Berlin
Tel.: +49(0) 30 258 950 80
mela.ikanovic@rewalk.com
www.rewalk.com

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