Für wen ist die Welt gebaut?
von Margarethe Quaas
Wir fragen die Fragende
Sara Hendren ist Künstlerin, Designforsche- rin, Autorin und Professorin am Olin College of Engineering. Gemeinsam mit dem Graffi- ti-Künstler Brian Glenney hat sie das Pikto- gramm für Barrierefreiheit weiterentwickelt. Was als Streetart-Aktion begann, endete 2011 mit dem Designprojekt »Accessible Icon Pro- ject«. Das Ergebnis: ein neues Piktogramm. Wir fragten sie zunächst:
Die Internationale Organisation für Normung hat die Verwendung Ihres »barrierefreien Symbols« abgelehnt. Hat Sie das verärgert?
Sara Hendren: Nein, gar nicht – diese Organisationen haben eine Rolle bei der Aufrechterhaltung der Normung zu spielen, daher war ein gewisser Widerstand zu erwarten. Wie wir schon immer gesagt haben, waren wir nicht die Ersten, die das traditionelle Symbol in irgend- einer Form abgewandelt haben. Das ganze Projekt begann, als ich anfing, Beispiele für diese Variationen in Museen, Geschäften und so weiter zu sammeln. In den USA gibt es für diese leichten Unterschiede eine Bestimmung, die »equivalent facilitation« genannt wird. Unser Projekt entsprach genau diesem Geist – die Einhaltung der Standards, mit einigen wichtigen Unterschieden – und wir stehen dazu. Aber wir sind nicht überrascht, wenn eine offizielle Stelle eine konservativere formale Haltung einnimmt. Inzwischen ist das Bild frei zugänglich und wird in der ganzen Welt verwendet.
Sie sind auch Mutter von drei Kindern. War das auch Teil der Motivation für das neue Symbol, das Sie geschaffen haben?
Ja, natürlich. Ich habe meinen Sohn Graham, den ältesten meiner drei Kinder, dabei beobach- tet, wie er sich als Kleinkind in der Welt zu- rechtfindet. Er hat das Down-Syndrom, und ich habe anders darauf geachtet, wie eine Behinde- rung dargestellt wird.
Eine Frage, die Sie in Ihrem Buch »What Can a Body Do« stellen, lautet: »Für wen ist die Welt gebaut?« Was bewegte Sie zu dieser Frage?
Es ist eine zentrale Frage im Behindertenaktivismus, ein langes Erbe der Wissenschaft und der Rechtsarbeit, das mehr als ein halbes Jahrhundert zurückreicht. In der öffentlichen Sphäre zu sein, als bürgerlicher Akteur, als Wähler, als Arbeiter, als Person aus der Nachbarschaft – all diese Rollen hängen davon ab, dass man sich im und um den öffentlichen Raum herum bewegt. Fragen der Rechte sind also nie nur eine Abstraktion, wenn es um Behinderung geht. Zugang ist auch etwas Materielles.
Ein Teil Ihrer Arbeit besteht darin, Behindertenforschung in Kombination mit einem praktischen Designlabor an Universitäten zu lehren. Zuletzt, im Frühjahr 2022, lehrten Sie das Seminar »Exploring the Normal: Assistives und adaptives Design für interdependente Zukünfte«. Was wurde den Studenten beige- bracht? Und was sind die Ziele?
Der Kurs war ein Seminar über Behinderung im Zusammenhang mit Design, mit einem breiten interdisziplinären Blick darauf, wie menschliche Normalität in den letzten zweihundert Jahren definiert und gestaltet worden ist. In der Vergangenheit habe ich den Kurs als Design-Studio abgehalten; in dieser Version ging es mehr um Wissenschaft und Analyse, sowohl von Ideen als auch von Beispielen aus der gebauten Welt. Das Ziel ist es, den Studierenden zu helfen, über fade Plattitüden zum Thema »Inklusion« hinauszudenken und stattdessen ihre kreative und politische Vorstellungskraft anzuregen, um Ideen in Bezug auf Behinderung zu erkennen, die unser aller Leben prägen.
Wie wird das, was die Schüler gelernt haben, in der Gesellschaft umgesetzt? Können Sie einige Beispiele nennen?
Ich denke, es wäre unklug, einen automatischen »Transfer« von Ideen in die Welt zu behaupten. Bei der Bildung geht es immer darum, Samen zu säen, neue Ideen zu verinnerlichen, Verbindungen herzustellen und sie dann über Jahre hinweg mit anderen Ideen zu verweben.
Was können unsere Leser tun, um das Thema des neuen Icons voranzubringen?
Um ehrlich zu sein, denke ich anders über Repräsentation als politische Maßnahme als noch vor zehn Jahren. Einerseits geben wir der Welt und einander in Form von Sprache und Symbolen einen Sinn. Andererseits kann es leicht passieren, dass wir unsere Energie auf visuelle Kultur und Terminologie konzentrieren, was zu Lasten anderer materieller Bemühungen um die Verbesserung des grundlegenden Gemeinwohls geht. Verwenden Sie das Symbol also nach Belieben! Aber das Beste, was man tun kann, ist, die Rechte von Menschen mit Behinderungen und die Demokratie im weitesten Sinne miteinander zu verbinden: Behinderung als Teil der menschlichen Geschichte zu sehen und daher als Interesse für Kulturen und Regierungen.
Welche Fragen bewegen Sie derzeit?
Ich denke viel über die Grundlagen des menschlichen Wertes nach, über geistige Behinderung und wirtschaftliche Produktivität und über das heikle Thema der selektiven Abtreibung. Also nicht so sehr über Design, sondern über Philosophie und Metaphysik in diesen Tagen! Wir werden sehen, wohin das führt.