»Es geht meist recht flott«

von Gabriele Wittmann

Bei Streitigkeiten rund um Teilhabe kann jeder die Schlichtungsstelle des Bundes anrufen

Grafik Deutschlandkarte mit Standorten der Schlichtungsstellen

Sie fühlen sich von einer öffentlichen Stelle des Bundes in Ihrer Teilhabe benachteiligt? Dann kann es hilfreich sein, einen Antrag bei der Schlichtungsstelle BGG zu stellen. Wofür sie zuständig ist, erklärt uns der Jurist Rolf Fischer.
»Das kommt in Wellen«, erklärt Schlichter Rolf Fischer auf die Frage, welche Fälle ihn und seine Kolleginnen am häufigsten erreichen. Vor zwei Jahren etwa gab es wegen der Corona-Pandemie viele Anträge zu den Themen »Informationen in Deutscher Gebärdensprache« und »barrierefreie Websites und Apps«. Denn Menschen waren für Informationen über das Virusgeschehen vermehrt auf aktuelle Informationen und Online-Services der Bundesbehörden angewiesen. Auch aktuell bleibt die barrierefreie Kommunikation mit Bundesbehörden ein Kernthema. »Wir hatten zum Beispiel einen blinden Künstler, der sich auf ein Förderprogramm des Bundes bewerben wollte. Die Webseite dafür war aber nicht barrierefrei«, erinnert sich der Jurist. Wie haben Sie den Fall gelöst? »Wir haben uns darauf geeinigt, dass ein Mitarbeiter der Behörde telefonisch Kontakt zu dem Bewerber aufnimmt und mit ihm die Antragsformulare durchgeht.« So konnte der Musiker noch fristgerecht seinen Antrag stellen. »Und natürlich ist die Behörde jetzt aufgerufen, die Website barrierefrei zu machen«, schiebt Fischer nach.

Erst vor fünf Jahren wurde die »Schlichtungsstelle nach dem Behindertengleichstellungsgesetz«, kurz Schlichtungsstelle BGG, ins Leben gerufen. Inzwischen wurden dort mehr als 800 Fälle bearbeitet. Ziel ist es, Menschen mit Behinderungen bei der Durchsetzung ihrer Rechte zu helfen. Das kann im schriftlichen Verfahren erfolgen, durch ein Schlichtungsgespräch, oder durch Mediation. Mehr als die Hälfte der Anträge endete bislang mit einer gütlichen Einigung. Stadt, Land, Bund: Welche Schlichtungsstelle ist zuständig? Das ist leider nicht ganz einfach zu beantworten. Die Kurzformel könnte lauten: Was vom Bund beaufsichtigt wird, kann auch beim Bund geschlichtet werden. Das sind neben den digitalen vor allem Fälle der baulichen Barrieren. Wenn etwa bei einem durch den Bund finanzierten Museum eine Rampe am Eingang fehlt, wenn am Bahnhof kein Aufzug genutzt werden kann, oder wenn ein Antrag auf Hilfsmittel oder eine Reha abgelehnt wurde, dann kann die Schlichtungsstelle BGG zuständig sein.

Den Sachverhalt klären

Ein Mann hatte die Krankenkasse gewechselt«, erinnert sich Rolf Fischer. »Die bisherige Kasse hatte ihm einen speziellen Rollstuhl gewährt, die neue wollte keinen in der gleichen Qualität genehmigen, sondern nur einen Elektro-Rollstuhl. Und das, obwohl für beide Kassen die gleichen Vorschriften gelten.« In solchen Fällen kann eine Klärung helfen, dabei beziehen die Schlichtenden manchmal auch die Aufsichtsbehörde mit ein.

künstlerische Grafik mit Gesicht und altem Telefon

Doch Achtung: Die Schlichtungsstelle BGG ist nur zuständig für Kassen, die unter der Aufsicht des Bundesversicherungsamtes stehen. Auseinandersetzungen mit Ortskrankenkassen wie der AOK können also nicht hier gelöst werden. »Aber einige Bundesländer sind dabei, eigene Schlichtungs-stellen für solche Fälle einzurichten«, erklärt Rolf Fischer. Viele Anträge orientieren sich an Gesetzesänderungen. So erreichen die Geschäftsstelle in Berlin aktuell viele Anträge zum Thema »Zutritt mit Assistenzhund«. Dabei geht es um Menschen, die auf einen Assistenzhund angewiesen sind, aber zu einem öffentlichen Ort keinen Zutritt bekommen haben. Oft kennen die Antragsgegner das neue Gesetz noch nicht, das die Mitnahme von Assistenzhunden auch in Hotels, Restaurants und Supermärkten erlaubt. »Manche Mitarbeitende fürchten auch, mit Hygiene-Vorschriften in Konflikt zu geraten«, weiß der Jurist. »Dann kann es schon am Supermarkt-Eingang dazu kommen, dass so ein Konflikt eskaliert.« In den vielen Fällen hilft auch hier ein Schreiben mit Klarstellung der Rechtslage und ein Telefonanruf. »Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht«, so Fischer. Die meisten Fälle sind innerhalb von drei Monaten geklärt.

Grafik Hund an der Leine

Private Plattformen

Das Schlichtungsverfahren hat mehrere Vorteile: Es ist kostenfrei. Und das meiste lässt sich schneller lösen als etwa durch Sozialgerichtsverfahren, die sehr lange dauern. Außerdem wird beiden Seiten das Recht durch die Schlichter erklärt. Auch dadurch verbessert sich das Verständnis für eine neue Rechtslage in der Gesellschaft. Ist es aber nicht von Nachteil, dass ein Schlichtungsvorschlag keine rechtlich bindende Wirkung für andere hat? Dass also der Fall nicht wie ein höchstrichterliches Urteil von Anwälten benutzt werden kann, wenn jemand in einem ähnlichen Fall klagt? »Betrifft ein Problem eine Vielzahl von Menschen, gibt es bei der Schlichtungsstelle BGG auch noch das Verbandsschlichtungsverfahren«, stellt Fischer klar. Damit können Verbände und Bundesbehörden allgemein geltende Lösungen finden. Außerdem gilt: »Wenn ein Schlichtungsverfahren nicht zu einer Einigung führt, bleibt für den Antragstellenden die Möglichkeit der Klage offen.«

»Vor allem am Eingang zum Supermarkt kann es zu Konflikten kommen«

Es ist also möglich, zunächst einen Schlichtungsantrag zu stellen, um eine rasche Einigung zu erwirken. Wenn das nicht gelingt, kann der Schritt zur Klage immer noch unternommen werden. Eine Untersuchung habe allerdings gezeigt, dass nur wenige Menschen mit gerichtlichen Schritten gegen Barrieren vorgehen, so Fischer: »Deshalb ist das Schlichtungsverfahren 2016 ja als weiteres Mittel zur Rechtsdurchsetzung eingeführt worden.« In Zukunft rechnen die Mitarbeitenden bei der Schlichtungsstelle vermehrt mit Fällen, die die Barrierefreiheit von IT- und Telekommunikationsgeräten betreffen. Denn ab 2025 gilt, dass auch die Angebote und Produkte privater Anbieter barrierefrei sein müssen. »Dann sind wir in diesem Bereich nicht mehr nur zuständig für öffentliche Stellen des Bundes, sondern auch für private Anbieter«, so Rolf Fischer.

Schlichtungsstelle BGG
Antragsformular:
www.schlichtungsstelle-bgg.de

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