Lachen ist keine Willensentscheidung: Im Gespräch mit Tan Caglar
von Kevin-Alexander Wohlien
Er wagt immer wieder neue Berufe: Nationalspieler im Rollstuhl-Basketball, Motivationstrainer, Model, Autor, Stand-Up-Comedian, Schauspieler. Tan Caglar bringt Menschen zum Lachen und macht Kulturtreibenden Mut. Wir fragten den Deutschtürken aus Hildesheim zunächst:
Was frühstückt ein so vielseitiger Mensch?
Tan Caglar: Tatsächlich nichts Besonders. Ich trinke sehr viel türkischen Tee, der darf nicht fehlen. Ansonsten ganz simpel zwei Stück Brot mit Käse. Ich lebe mit meinen Eltern in einem Zweifamilienhaus. Die lassen es sich nicht nehmen, ihrem Sohn gelegentlich das Frühstück zuzubereiten. Das sorgt dann für einen einigermaßen ausgewogenen Start in den Tag.
Sie leben mit Ihren Eltern zusammen?
Ja, wir leben in getrennten Wohnungen unter einem Dach und sind immer füreinander da. Die haben ansonsten hier nicht viel, weil unsere ganze Familie in der Türkei lebt. Mit 41 kann man jetzt denken: Ich habe den Absprung nicht so ganz geschafft. Aber es ist auch schön, dass wir so viel beieinander sind. Eigentlich ist es sogar ein geiler Gag, wenn ich darüber nachdenke: „Ja, ich bin ja jetzt auch schon 40, das ist so ein Alter, in dem wir Türken jetzt so langsam flügge werden …“
Ihr erstes Stand-Up-Comedy-Programm hieß „Rollt bei mir“. Sie haben einmal gesagt, dass Sie als Kind gerne den Entertainer gegeben haben. War das einer der zentralen Gründe für Ihren Gang auf die Bühne?
Auch, ja. Ich hatte es gerne, wenn ich der Auslöser dafür war, dass die Leute angefangen haben zu lachen. Es hat also immer ein bisschen mitgeschwungen, allerdings auch nicht viel mehr. Wenn ich nicht in den Rollstuhl gekommen wäre, dann wäre ich niemals Comedian geworden und hätte mich vermutlich nie auf den Bühnen so sehr selbst gefunden.
Sie haben den Tag, an dem Sie im Rollstuhl gelandet sind, als „Tag R“ bezeichnet. Was genau bedeutet das?
Ich bin damals in eine tiefe Depression gefallen. Die Welt wird sehr klein, du bist kaum noch gesellschaftsfähig. Es ist irgendwie so ein bisschen wie die Corona-Zeit, könnte man sagen. Es fühlt sich an wie eine Art Loch, aus dem du selbst nicht mehr herauskommst. Dann gab es diesen Moment, als mein Physiotherapeut mir vom Rollstuhl-Basketball erzählt hat. Ich habe das zunächst abgelehnt. Aber nachdem ich den Sport zufällig dann bei den Paralympics gesehen hatte, war ich total begeistert. Und bin völlig naiv zum ersten Training gegangen. Von dort an hat mich der Rollstuhl-Basketball komplett aus diesem Loch geholt, denn der Kontakt – und vor allem die Brücke zu den nichtbehinderten Menschen – haben mich regelrecht befreit.
Sie haben mit dem Sport Karriere gemacht und sind Nationalspieler geworden. Wie haben Sie danach Ihr Talent zum Stand-Up-Comedian entdeckt?
Das hat sich witziger Weise auch über den Basketball ergeben. Damals gab es von der Deutschen Telekom ein Projekt, das nannte sich „Neue Sporterfahrungen“. Die Telekom wollte Schülern an deutschen Schulen den Rollstuhl-Basketball näherbringen und suchte Leute, die nicht nur den Sport beherrschen, sondern auch gerne und gut quatschen können. Dabei habe ich dann gemerkt, dass ich alle mit meinem Humor gut unterhalten konnte. Das war eine tolle Erfahrung und sprach sich dann herum. Irgendwann kam ein Teilnehmer zu mir und sagte: „Herr Taglar, das war ja wie Comedy!“ Das war für mich wie dieser nasenreibende Moment bei „Wiki und die Wikinger“.
Wie wichtig ist Ihnen das Thema „Authentizität“ in Ihrem Comedy-Programm?
Jeder Komödiant fragt sich am Anfang: Worüber rede ich eigentlich, was nehmen mir die Leute ab? Und ich empfinde es als unerträglich, wenn jemand etwas über etwas redet, von dem er keine Ahnung hat. Authentizität ist sehr wichtig. Gerade bei so sensiblen Themen: Wenn du nicht gefestigt wirkst – und auch bist –, werden die Leute nicht darüber lachen, sondern nur interessiert zuhören. Aber ich habe schnell gemerkt, dass es mich selbst langweilt, wenn ich 90 Minuten über das Thema `Behinderung ́ spreche. Ich bin ja kein „Rollstuhl-Comedian“, sondern ein Comedian, der zufällig im Rollstuhl sitzt. Natürlich benutze ich das, denn es gehört zu mir und meiner Welt. Aber ich möchte niemals der Comedian sein, der immer nur die Witze über Rollstuhlfahrer macht!
Was wollen Sie als Comedian erreichen?
Ganz oft wird ja über mich berichtet, dass ich der Comedian sei, der sich das Thema Inklusion auf die Fahne geschrieben hat. Das ist aber gar nicht der Fall. So unromantisch das auch klingt: Ich möchte einfach unterhalten. Natürlich benutze ich das Thema, weil mir das irgendwie gegeben ist. Lachen ist keine Willensentscheidung, sondern eine Reaktion. Dieses „ertappt sein“, dieses: Den Leuten ein Ventil zu geben, über Dinge zu lachen, über die sie sonst nicht lachen können. Sie an diese Grenze zu bringen. Das ist meine Motivation.
Fragen: Kevin-Alexander Wohlien