»Nur für Rollstuhlfahrer!«

von Kay Macquarrie

Schon komisch, einen solchen Spruch zu lesen. Und ja, auch, lesen zu müssen! In einer Zeit, die zumindest auf dem Papier eher durch Inklusion gekennzeichnet ist als durch öffentliche Hervorhebung. Wohl fühle ich mich beim Lesen jedenfalls nicht. Gedanken schießen durch den Kopf: Habe ich jetzt einen »VIP Status«? Oder ist es nur mal wieder die bekannte »Extrawurst«? Beides wäre ungewollt. Denn eigentlich möchte ich ja nur von einem Ort zum anderen. Und das am liebsten unbehelligt und ohne Reibungsverluste. Und ja: auch gerne ohne auferlegte Interaktion mit anderen Menschen. Das mit dem Reibungsverlust hat sich mit dem obigen Spruch, der breit an der Eingangstür zum Zug prangt, bereits erledigt. Es ist Aufregung pur! Und unbehelligt bleibe ich auch nicht. Denn gerade als ich in den Zug hinein möchte, kommen zwei Schaffnerinnen auf mich zu, um mir hineinzuhelfen. Ich bin einer von knapp 1,5 Millionen Menschen, die in Deutschland einen Rollstuhl nutzen. Und einer von jenen, die nicht mal eben so die beiden Stufen in den Fernverkehrszug hineinkommen.

»Das stellt sich bei der Nutzung als glatt gelogen heraus«

Just hat die Deutsche Bahn einen schönen neuen ICE auf die Schiene bekommen. In Rekordzeit. Superschnell ist er – und diesmal sogar mit funktionierendem Mobilfunk und allen Schikanen. Und, ja: Der Verkehrsminister lässt sich sogar dazu hinreißen, den Zug als »barrierefrei« zu titulieren. Hüstel, Hüstel. Das stellt sich bei der Nutzung als glatt gelogen heraus. Fehlinformation von höchster staatlicher Stelle – und das alles, ohne rot zu werden!

Ohne rot zu werden

Jedenfalls möchte ich rein in den Zug – und kann nicht. Denn das Ding hat wie all seine Vorgängerversionen Stufen. Stufen? Wie flach, bitteschön, kann eine Lernkurve sein? Es heißt doch »Kurve« und nicht »Plateau«?

Es ist ja nicht so, dass Rollstuhlnutzende erst in diesem Jahrtausend auf den Plan getreten sind. Auch wenn mich im Alltag oft das Gefühl beschleicht, der erste Mensch mit Rollstuhl zu sein. Erst gestern wollte ich einen schlichten Döner essen, am belebten Bertha-von-Suttner Platz in der Bundesstadt Bonn. Doch jeder einzelne der vier Dönerläden um den Platz herum hatte eine Stufe vor dem Eingang. Fast kommt es mir vor wie eine Art Stufenfetischismus, von dem dieses Land ergriffen ist! Meinen Dürüm habe ich schließlich draußen gegessen. Sich will-kommen und als Gast mitgedacht fühlen geht anders.

»Extra für mich sind die beiden Schaffnerinnen gekommen«

Es piept ohrenbetäubend. Leute auf dem Bahn-steig gucken. Der Hublift wird ausgefahren. Richtig! Die Tür mit dem Schild »Nur für Rollstuhlfahrer!« wurde extra für mich geöffnet. Zum Glück bin ich ein männlicher Rollstuhlfahrer, denke ich bei mir. Ob wohl auf der anderen Seite »Rollstuhlfahrerinnen« steht? Und extra für mich sind die beiden Schaffnerinnen gekommen, die jetzt ein neues technisches Meisterwerk aus dem Hause Siemens bedienen.

Keinerlei Halt nach hinten

In der Vorgängerversion dieser Züge ist der Hublift noch in einer regulären Tür verbaut worden. Jetzt gibt es eine Extratür. Mit der Konsequenz, dass der Lift maximal kompliziert und fehleranfällig ist, bis hin zu völligem Zugstill-stand. Die Tür wird nur genutzt, wenn Reisende mit Rollstuhl davor stehen. Leider wird damit nix besser. Und schon gar nicht barrierefreier. Ich ergreife die Gelegenheit und schicke an dieser Stelle einen deutlichen Seitenhieb an die Bahn und auch an den Verkehrsminister: Bar-rierefrei ist etwas dann, wenn es ohne fremde Hilfe genutzt werden kann. Merkt euch das!

Mit Gepiepe geht es jetzt mit Hublift rauf in den Zug. Das schmale Ding hat zwar ein Geländer nach links und rechts, aber keinerlei Halt nach hinten raus. Eine falsche Bewegung und mensch ist schneller auf dem Boden der Tatsachen angekommen als gehofft. Aber die Bahn wird sich sicher in ferner Zukunft auch dafür etwas ein-fallen lassen.

Schlimmer wiegt die Ignoranz, nicht auf das Recht auf Barrierefreiheit von etwa fünf Millionen Rollstuhlnutzenden in Europa einzugehen. Es ist eine tiefe ableistische Haltung, die so spricht: Die zwei, drei Stufen überbrücken wir mit einem Lift und Personal – dann passt das schon. Falsch. Fakt ist, dass es gegen das Gesetz verstößt, Gäste im Rollstuhl zu verladen und sie nicht einsteigen zu lassen. Und Fakt ist auch, dass die vielen Barrieren eine Abschreckung darstellen, überhaupt mit dem Zug zu reisen. Ich aber denke: Jetzt erst recht!

Kay Macquarrie ist oft digital unterwegs und schreibt als Journalist über die Themen Barrierefreiheit, Ableismus und Künstliche Intelligenz. Nebenbei spielt er Bluegrass in der Band The Twang Gang. In Berlin ist er Sprecher für Barrierefreien Tourismus der ISL, in seiner Heimatstadt Kiel sitzt er im Beirat für Menschen mit Behinderung. Dort lebt er mit seiner fünfköpfigen Familie mit Katze.

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