Sexualberatung: Was kann sie leisten? Patrizia Kubanek gibt Einblicke in ihre Praxis

von Gerti Keller

Mit welchen Fragen kommen Rollstuhlfahrer auf Sie zu?

Das sind oft ganz praktische: Wie kann ich Sex haben? Bin ich überhaupt in der Lage dazu? Wie finde ich einen Freund, eine Freundin? Wie flirte ich? Oder auch: Tut das weh? Bin ich beweglich genug? Oder was mache ich mit den Assistenten, nehme ich sie mit zum Date? Solche Fragen be­schäftigen vor allem Menschen, die noch nie Se­xualität erleben durften. Bei Paaren, von denen einer zum Beispiel durch einen Unfall eine Einschränkung erworben hat, möchte der- oder diejenige wissen: Wie mache ich einem Partner klar, dass er dies oder jenes machen muss?

Was sind die typischen Ängste?

Frauen finden sich häufig nicht attraktiv genug. Männer, die ihre unteren Extremitäten nicht spüren, befürchten, ihre Partnerin zu ent­täuschen, wenn sie die Erektion nicht halten können. Gerade Querschnittgelähmte leiden oft unter Ängsten wegen der Ausscheidungen. Sie fragen sich, wie gehe ich mit dem Katheter um oder mit Inkontinenz? Hier empfehle ich diverse Hilfsmittel. Bei Inkontinenz spontan mit jeman­dem intim zu werden, ist allerdings schwierig. Das bedarf einer größeren Planung. In vielen Fällen lässt sich Sexualität aber mit etwas Vor­lauf erleben und genießen. Wichtig ist außerdem Offenheit. Überhaupt bin ich der Meinung, wer selbstbewusst mit seiner Behinderung umgeht, wirkt sehr attraktiv auf potenzielle Partner.

Welche Rolle spielt der Kopf?

Meist ist der Anspruch an den eigenen Körper zu hoch. In den Köpfen spielen oft Stereotypen eine große Rolle, insbesondere bei häufigem Konsum von Pornos. Diese sind aber nicht zu erfüllen, gerade nicht von einem behinderten Körper. Ein Hochglanzporno oder Highend-Sex entspricht sowieso niemals der Realität, doch die Bilder prägen sich ein. Das gilt übrigens auch für Nichtbehinderte, die sich auch häufig die Frage stellen: Bin ich gut genug? Echte Intimität ist aber keine Abfolge von Kamasutra-Stellungen. Wenn ich mich dagegen spielerisch wie ein Kind einlasse, gibt es viele Aha-Effekte wie »Oh, das geht also…« Schön ist, wenn der Partner gern mit herumexperimentiert. Dann ist es viel ein­facher neue Wege beim Sex zu entdecken, die Spaß machen können – und Spaß ist das wich­tigste.

SW-Netzhandschuh auf Rollstuhl-Rad aufliegend
©Joan

Leicht gesagt, aber wie kommt man dahin?

Meine Lieblingsantwort ist üben, üben, üben. Sexualität ist erlernbar. Sie ist uns nicht von klein auf gegeben. Wir haben zwar einen Sexu­altrieb, aber die Areale im Gehirn dafür werden erst ausgebildet, indem man es macht. Wer noch nie Sex erleben durfte, dem rate ich zu einer Sexualbegleiterin. Der große Vorteil: Hier muss man keine Erwartungen erfüllen, kann einfach mal etwas ausprobieren. Das hilft auch Frage­stellungen zu klären, wie: Kann ich überhaupt Sex haben und wie? Diese Erfahrung kann ein  echter Katalysator sein. Viele gehen anschlie­ßend mit neuem Selbstbewusstsein in die Welt und haben dann auch eine andere Wirkung auf potenzielle Liebespartner. Vor dem ersten Mal ist es immer ein riesiges Thema. Danach ist man im Club und weiß, wie es funktioniert.

Was raten Sie frisch Verunfallten?

Wenn jemand relativ neu eine Querschnittlähmung erworben hat, wird das Thema anfangs ziemlich ausgeblendet. In Trauma-Kliniken kommt es kaum zur Sprache. Gerade wenn Be­troffene dann von ihren Eltern betreut werden ist es ein Riesen-Tabu. Die beste Anlaufstelle ist dann eine Sexualberatung. Ich zum Beispiel gebe ganz konkrete Hausaufgaben.

Sollte Sexualassistenz von den Krankenkassen bezahlt werden, falls es die einzige Möglich­keit ist, Sex zu erleben?

Als Kassenleistung wäre es ein falsches Signal, denn es dreht sich nicht um eine Krankheit. Es wäre aber richtig, dies im Rahmen der Einglie­derungshilfe zu bezahlen. Sex gehört zu einer normalen Entwicklung, einem gesunden Leben dazu, und ist auch eine Form der Teilhabe.

Was ist was? Patrizia Kubanek erklärt Begriffe

Sexualassistenz versteht sich als rein kompensatorische Unterstützung. Sie führt bei­spielsweise die Hand, wenn jemand sich nicht selbst befriedigen kann. Auch kann sie einem Paar, dass stark eingeschränkt ist, zu Bewe­gungen und Stellungen verhelfen.

Sexualbegleitung ist eine erotische Dienst­leistung. Der Kunde soll sich in der eigenen sexuellen Identität entfalten können. Sexual­assistenten und -begleiter können die gleiche Person sein. Beides ist eine Form der Prosti­tution, wobei es sich aber um Begegnungen auf Augenhöhe handelt in einem respektvol­len, einvernehmlichen Umgang miteinander. Sexualberater vermitteln vorwiegend weib­liche Sexbegleiter, man kann sie auch online finden. Die Kosten betragen rund 150 Euro, inklusive Anreise. Männliche Sexualbegleiter sind sehr dünn gesät.

SW-Photograf Joan van Hout
©Joan

Sextherapie leisten Psychologen, die sich darauf spezialisiert haben. Ziel ist eine Hei­lung. Geschulte Sexberater wiederum geben Menschen mit Behinderung und Angehörigen Ratschläge und beantworten Fragen.

Die ausgewählten Fotografien stehen völ­lig unabhängig von unserer Reportage. Sie stammen aus einer Ausstellung von Joan van Hout. Er beschäftigt sich jedes Jahr mit neu­en Themen. 2018 begegnete er Mitgliedern des Rolli-Treffs Nürnberg, um ihre Gedanken und Erfahrungen kennenzulernen.

»Die Damen erzählten locker vom Hocker über ihr aktives Sex-Leben«, sagt er. So be­gann allmählich seine Serie über Inklusion und Sexualität. »Man muss aufpassen, nicht in Pornografie abzurutschen«, erklärt er. »Ich will eher Erotik reinbringen, sodass sich die Geschichte im Kopf der Betrachtenden ab­spielt.«

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