Barrierefreie Bahn gewinnt an Fahrt

von Gabriele Wittmann

Wie kamen Sie dazu, sich als Aktivist für barrierefreies Bahnfahren einzusetzen?

Bei der Bahn gibt es dermaßen viel Potential für Entwicklung, das ist kaum zu glauben. Das erwartet man gar nicht von einem Industrieland wie Deutschland, das seit Jahrhunderten Bahnen und Gleise produziert, aber schlicht nicht daran gedacht hat, einen stufenlosen Zugang in einen Zug zu ermöglichen.

Hatten Sie ein Schlüsselerlebnis?

Ja, eine Reise nach China. Dort habe ich den Nachtexpress von Shanghai nach Peking genommen. Ich habe mir einfach eine Fahrkarte gekauft und bin geradewegs in den Zug gerollt. Das war überhaupt kein Problem. Dann sah ich, dass die Züge von Siemens und Bombardier stammten. Sie wurden in Deutschland entwickelt. Und fahren in China stufenlos. Da habe ich mich gefragt: Warum ist das nicht auch bei uns möglich?

Und warum ist es nicht möglich?

Weil es in jedem Bundesland unterschiedliche Bahnsteighöhen gibt, dazu noch unterschiedliche Zugsysteme. Und mal eine Rampe, mal eine Hebebühne. Vielleicht wird es Zeit, dass der Verkehrsminister in Berlin mal ein Machtwort spricht.

Sie haben Bahnchef Richard Lutz eingeladen, im Rollstuhl den Zug von Berlin nach Hamburg zu nehmen. Wie war die Reaktion?

Seine Kollegen haben mir geantwortet, Herr Lutz sei zu beschäftigt. Die Bahn kann das zwar nicht alleine lösen, das ist klar. Aber dass der Bahnchef sich nicht deutlich hörbar für Barrierefreiheit einsetzt, das nehme ich ihm persönlich übel. Es zeigt einfach, wie wenig Priorität das Thema Zugänglichkeit hat.

Woran liegt das?

Wir hatten in Deutschland viele Jahre gesonderte Einrichtungen für mobilitätseingeschränkte Menschen. Sie gingen auf andere Schulen. Und im Studium konnten sie abends nicht mit in die Kneipe, weil die Toilette im Keller war. Das hat zu so einer Aussortierung geführt, dass es für die Generation 50+ oder 60+ nur ganz wenige Schnittmengen mit mobilitätseingeschränkten Menschen gibt. Dadurch sind diese Themen für Leute wie Herrn Lutz einfach nicht auf dem Schirm.

Und, geben Sie jetzt auf?

Nein. Ich bin in den Beirat der programmbegleitenden Arbeitsgruppe der Bahn gewählt worden, die im November tagt. Da werde ich auch Herrn Lutz begegnen. Ich werde die HASE App (s. Bericht) mitbringen und vorstellen. Es gibt ja auch bei der Bahn Mitarbeiter, die etwas verändern wollen. Man hat bereits Interesse an unserer App signalisiert. Die Mobilitätsanfragen haben sich innerhalb der vergangenen fünf Jahre um fünfzig Prozent erhöht. Daran sieht man doch, was für ein Volumen dahintersteckt.

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