Nils Beinke-Schulte kreiert Hilfsmittel am 3D-Drucker

Für ihn ist 3D-Druck weit mehr als ein Hobby: Der junge Förderschullehrer Nils Beinke-Schulte betreibt einen eigenen Blog, auf dem er die besten Ideen für selbstgemachte Hilfsmittel vorstellt. Mit den Vorlagen können sich Interessierte praktische Alltagsdinge wie Einhandscheren oder Becherhalter selbst herstellen. Und auch für Leute ohne 3D-Drucker hat der Blogger eine Lösung parat.
Technik hat im Leben von Nils Beinke-Schulte schon immer eine Rolle gespielt. Sein Vater ist der klassische analoge Heimwerker mit Stichsäge und Hobelbank, sagt er. Er selbst arbeite eher digital, hat sich früh für Computer und Roboter interessiert.
Die neue Technologie des 3D-Drucks, bei dem dreidimensionale Formen in der Maschine wie aus dem Nichts erstehen, hat Beinke-Schulte sofort fasziniert. Das Wissen darüber hat er sich selbst angeeignet, »mit Geduld, Spucke und Youtube-Videos«.
Er war sich sicher, dass er diese Technik gut mit seinem Beruf verbinden kann. Als Lehrer an einer Förderschule unterrichtet Beinke-Schulte Kinder und Jugendliche der ersten zehn Klassen im Alter von 6 bis 18 Jahren – viele ganz unterschiedliche Menschen also, einige mit körperlichen Einschränkungen, andere mit geistigen. »Ich dachte mir, dass der 3D-Drucker sich eignet, um mit den Schülern Hilfsmittel zu drucken.«
Leuchttürme für den Anfang
Bei der Schulleitung stieß die Idee zunächst auf Desinteresse. Doch der Vorsitzende des Fördervereins war begeistert, fand das Vorhaben innovativ – und sorgte für die Anschaffung eines 3D-Druckers. »Da stand dann das Ding und ich musste mir Gedanken machen, was wir jetzt damit tun können.« Aus der Idee war Realität geworden, der kreative Teil konnte beginnen.
»Beliebt sind Fingerführungen für die Bedienung von Tablets«
Am Anfang druckten sie kleine Leuchttürme aus – »aber die sind reihenweise umgekippt«, Beinke-Schulte muss lachen. Eines der ersten richtigen Projekte war dann schon ein Hilfsmittel für eine Schülerin im Rollstuhl: ein ziemlich komplizierter höhen- und neigungsverstellbarer Getränkehalter. »Da habe ich Stunden dran gesessen, aber das Produkt ist cool geworden.«
Beinke-Schulte machte sich auf die Suche nach Druckvorlagen, jenen digitale Dateien, nach denen die Maschine mit erhitztem Kunststoff Schicht für Schicht ein Objekt fertigt. Dabei stellte er zu seiner Überraschung fest, dass es kaum brauchbare Webseiten in deutscher Sprache gab. Also startete er einen eigenen Blog: Auf »MakersHelpCare« veröffentlicht er Infos zum Thema, stellt alle möglichen Hilfsmittel inklusive Druckdateien vor.
Verlängerung für eine Bremse
Sehr beliebt sind beispielsweise Fingerführungen, die sich auch gut für die Bedienung von Tablets oder Talkern eignen – was für Menschen praktisch ist, die nicht verbal kommunizieren. Der Hit aber ist ein kleines Teil, mit dem sich ein Strohhalm am Rand eines Trinkglases einfach festklemmen lässt. Das könne man in drei Minuten ausdrucken. Zum Vergleich: Der Getränkehalter benötigt drei Stunden.
Viele dieser Hilfsmittel hat Beinke-Schulte auf englischen Webseiten wie »Thingiverse« oder »Myminifactory« gefunden und dann auf »MakersHelpCare« verlinkt. Manch andere hat er selbst entworfen, oft auf Wunsch. Auf seinem Blog ruft er dazu auf, Ideen mitzuteilen: Was fehlt, was sollte noch erfunden werden? So konnte er einem kleinen Jungen helfen, der mit seinen verkürzten Fingern nicht die Bremse seines Dreirads ziehen konnte. »Da habe ich zehn verschiedene Verlängerungen für die Bremse hergestellt und der Mutter geschickt.« Mit einer davon ist der Kleine nun unterwegs.



Freie Community

Seinen weiterentwickelten Getränkehalter gibt es mittlerweile in der achten Version. Denkt Beinke-Schulte daran, sich die eigenen Werke patentieren zu lassen? Nein, die 3D-Druck-Community arbeitet gemeinschaftlich, frei von kommerziellen Interessen. Er freue sich, wenn Leute die Sachen kopieren: »Wenn so ein Hilfsmittel Menschen zugutekommt, muss ich nichts daran verdienen.«
Die Stücke aus dem 3D-Drucker sind übrigens nicht nur praktisch, sondern auch preiswert. So belaufen sich die Kosten für die Einhandschere auf weniger als fünf Euro – ein Zehntel des Sanitätshauspreises.
Doch natürlich muss erst einmal ein Drucker vorhanden sein, den nur wenige haben. Auch da hilft Nils Beinke-Schulte: Wer ihm eine E-Mail schickt, erhält das gewünschte Teil per Post – und prinzipiell gratis. Allerdings freue er sich über kleine Spenden, um die Kosten für das Material und die Webseite nicht ganz allein aufbringen zu müssen.
Selbst den Startknopf drücken
An seiner Schule leitet Beinke-Schulte nun auch eine 3D-Druck-AG, die die Kinder begeistert nutzen. So habe eine Schülerin für ihren Hund einen Futterball hergestellt, mit mehreren Löchern, in die man Leckerlis einfüllt; wenn der Hund den Ball bewegt, fällt ab und zu eins raus. Ein anderes Mädchen mit Tetraspastik hat mit dem Joystick Schlüsselanhänger mit Namen entworfen. Zwar musste jemand anderes die Speicherkarte in den Drucker stecken, »aber sie hat es sich nicht nehmen lassen, den Startknopf zu drücken!« Nun besitzt die gesamte Verwandtschaft persönliche Schlüsselanhänger. Diese Schülerin sei später übrigens in eine Behindertenwerkstatt gekommen, in der sie mit einem 3D-Drucker arbeitet. Mittlerweile hält sie Vorträge zum Thema.
Hier zeigt sich der erstaunliche Mehrwert dieser Technologie: Menschen mit Behinderungen mögen nicht in der Lage sein, eine Säge oder Feile zu benutzen; dennoch können sie mit Hilfe des 3D-Drucks Werkstücke herstellen. Beinke-Schulte denkt auch an den Kunstunterricht: »Wo andere mit Ton hantieren, kann man eine Skulptur am Computer erstellen und mit dem Drucker Wirklichkeit werden lassen.«

»Jeder Schüler, jede Schülerin ist ist ganz individuell«
Und die Zukunft? Die Entwicklung sei faszinierend, die Geräte werden immer komfortabler und alltagstauglicher. Inzwischen führt Beinke-Schulte Workshops für Studenten, Referendare und Kollegen sowie Schulungen vor Ort durch. Dass er seine Leidenschaft für den 3D-Druck mit seinem Beruf verbinden kann, empfindet der Sonderpädagoge. als tägliches Geschenk. All die jungen Menschen mit unterschiedlichsten Körperbehinderungen, kognitiven Einschränkungen und Begabungen – das mache für ihn den besonderen Reiz aus: »Es ist nie 08/15 – jeder Schüler, jede Schülerin ist anders und ganz individuell.« Beinke-Schulte liebt genau diese Herausforderung.
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