Wer steckt eigentlich hinter… …dem Verein Embrace?

von Gabriele Wittmann

Logo Hotel Embrace Mitglied im Verbund der Embrace Hotels. Weitere Informationen unter: www.embrance-hotels.de
Foto: Embrace Hotels e. V./ LoboStudio Hamburg

Das Stadthaushotel in Hamburg war das erste, das sich vor genau dreißig Jahren als »Integrationshotel« gründete. Als wirtschaftlich selbstständiges Unternehmen ermöglicht es Menschen mit Behinderung, eine reguläre Erwerbstätigkeit mit tarifvertraglichen Regelungen und ortsüblicher Entlohnung auszuüben. Im Jahr 2004 trafen sich dann erstmals sechs Betriebe, die dieser Idee folgten. 2006 wurde gegründet, 2008 wurde der Verbund der Embrace Hotels e. V. offiziell als Verein eingetragen. Den Mitgliedern geht es nicht darum, möglichst viel Umsatz oder Gewinn zu erwirtschaften. Erklärtes Geschäftsziel ist vielmehr, möglichst viele Menschen mit Behinderung auf den Arbeitsmarkt Hotellerie zu bringen.

Für ihre Gäste bieten die Embrace Hotels Service für alle: Fragen nach einer Toilettensitzerhöhung oder einem Pflegebett sind hier alltäglich. Die Häuser werden nicht nur von dem Label »Reisen für Alle« klassifiziert, sondern jeweils detailliert beschrieben. So kann jeder Gast sich informieren, wie die Bedingungen vor Ort sind. Die inzwischen fast 50 Übernachtungsbetriebe werden individuell geführt: Manche bieten Tagungsräume an, andere nicht. In manchen verbringen Wohngruppen zehn Tage lang ihren Urlaub, in anderen steigen vorwiegend Geschäftsleute ab. Von der Jugendherberge bis zum Sternehotel – im Verbund finden sich Übernachtungsmöglichkeiten für jeden Geschmack und jedes Portemonnaie.

Im Hotel zu Haus


Inklusionshotels bieten Arbeitsuchenden oft genügend Flexibilität, um räumliche und zeitliche Bedingungen individuell abzustimmen

Ein Hotel als Arbeitsplatz – das ist für viele eine ungewohnte Vorstellung. Doch in Inklusionshotels kann individuell auf die Situation eines Menschen eingegangen werden. Zum Beispiel in den etwa 50 Betrieben, die sich in dem Verbund Embrace Hotels e. V. zusammengeschlossen haben.

Frau im Rollstuhl sitzt an einem Computerarbeitsplatz
Foto: Kornspeicher gemeinnützige GmbH

Es ist zwölf Uhr mittags. Dorothea Bäumner erkundigt sich, was heute so stattfindet. Dann rollt sie hinter den abgeflachten Rezeptionstisch und beginnt ihre Schicht. Sie wird jetzt neue Gäste im Hotel im Kornspeicher empfangen, Reservierungen beantworten und Angebote für Firmen schreiben, die eine Tagung abhalten wollen. »Manche brauchen nur einen Raum«, erklärt sie. »Wenn allerdings ein komplettes Paket mit Mittagessen und Kaffeepause gewünscht ist, dann beziehe ich die Geschäftsleitung noch in die Verhandlungen mit ein.«

Die 37-Jährige ist zufrieden mit ihrem Job. Vor dreizehn Jahren hat sie in dem Marburger Hotel angefangen, war von Anfang an dabei. Dabei kam sie ursprünglich gar nicht aus der Branche: Sie arbeitete zunächst dem Sekretariat des Dekanats an der örtlichen Universität zu. Als die befristete Stelle auslief, informierte sie der Integrationsfachdienst, dass ein Inklusionshotel am Ort aufmachen wolle. Das Vorstellungsgespräch lief gut und sie begann, sich in die Welt der Hotellerie einzuarbeiten.

Das erste Jahr war anstrengend. Damals hatte sie noch eine Anfahrt von einer halben Stunde, war inklusive Mittagspause insgesamt neun Stunden vor Ort. »Das war eine Stunde mehr, als ich es gewohnt war«, erzählt Dorothea Bäumner. »Das erscheint vielleicht wenig. Doch den Unterschied habe ich gemerkt, da musste sich mein Körper erstmal neu einstellen.«

»Wir brauchen Lösungen für praktische Fragen«

Inzwischen wohnt die Rezeptionistin in der Nähe des Hotels. Das macht es ihr leichter, auch, weil ihre Spätschicht erst um 21 Uhr endet. Sie prüft, ob alle Lichter erloschen und alle Türen verschlossen sind. »Ich übernehme gerne Verantwortung«, sagt sie. Und: »Ich habe früh gemerkt, dass ich nicht nur Bürotätigkeiten erledigen will. Ich will mit Menschen zu tun haben.«


Eigene Bedürfnisse klären

Mann steht vor einem Bildschirm und zeigt auf ein Gebäude
Foto: Kornspeicher gemeinnützige GmbH


Wie sie Menschen gut ansprechen kann, wie der Check-in funktioniert, und welche Lösungen es für »schwierige« Gäste gibt, das hat Dorothea Bäumner alles mit der Zeit gelernt. Probleme bei der Kommunikation können sie nicht mehr schrecken.

Damit das alles reibungslos läuft, hat sie mit dem Hoteldirektor von Anfang an ihre Bedürfnisse geklärt und nach individuellen Lösungen gesucht. Die Spätschicht ist für sie genau das Richtige: Wenn alle nach einer Tagung entschwunden sind, kann sie ganz ohne Hektik abräumen. Das gelingt auch mit Hilfe eines speziellen Geschirrwagens, der extra für sie an geschafft wurde: Er ist dreistufig und aus einer sitzenden Position heraus bedienbar.

Hilton nützt mir nichts


Wie kann Dorothea Bäumner aus dem Rollstuhl heraus Kaffeekannen abräumen? Das war am Anfang eine Frage für Rocco Pabst. Der Direktor des Hotels im Kornspeicher erinnert sich: »Ein Tablett auf dem Schoß sieht nicht professionell genug aus und ist außerdem unpraktisch«, lautete das erste Fazit. Er ließ extra einen kleinen Servierwagen bauen, den die Mitarbeiterin mit einer Hand ziehen und mit der anderen bedienen konnte. Über andere Embrace-Hoteldirektoren fand er am Ende einen Wagen, der noch geeigneter ist: Er sieht professionell aus, und die Mitarbeiterin findet ihn funktional und gut handhabbar.


Seit zwölf Jahren ist das Hotel im Kornspeicher Mitglied im Verbund der Embrace Hotels, der inzwischen knapp 50 Hotels in Europa verbindet. Kerngedanke des Verbunds ist es, Menschen mit Behinderungen auf den ersten Arbeitsmarkt im Bereich Hotellerie zu bringen. Alle Betriebe sind ganz oder teilweise barrierefrei und von Reisen für Alle zertifiziert. Vor allem der kollegiale Austausch hat Direktor Rocco Pabst oft genützt. »Es würde mir nichts bringen, wenn ich mich mit dem Direktor eines Hilton-Hotels austauschen würde«, sagt er. »Wir brauchen Lösungen für ganz praktische Fragen.« Manche Sachen hörten sich eben in der Theorie »ganz hübsch« an, müssten aber in der Praxis ganz anders umgesetzt werden.

Individuell weiterbilden

Die Wäscherei für die Bettbezüge läuft über den Werkstatt-Betrieb des Vereins Soziale Hilfe Marburg e. V., der als Träger des Hotels eine Tagesstätte betreibt, in der psychisch erkrankte Menschen betreut werden. Sie arbeiten mindestens eine halbe Stunde pro Tag, je nach Verfassung. Die acht Mitarbeitenden im Hotel aber sind alle auf dem ersten Arbeitsmarkt angestellt und erhalten ein branchenübliches Gehalt.

Drei Personen schauen gemeinsam auf Dokumente. Eine Frau hat einen Stift in der Hand
Foto: Kornspeicher gGmbH / Dominik Buschardt

»Man muss ein bisschen kreativ sein und aus der Praxis heraus wissen, welche Arbeiten anfallen und wie die erledigt werden können«, weiß Pabst. Er hat auch Mitarbeitende ohne Handicap geschult, damit sie erkennen können, wo ein Handicap bei einem Kollegen oder einer Kollegin ist. »So können sich alle gegenseitig helfen, ohne, dass der Gast etwas merkt.«

Der Embrace-Verbund bietet spezialisierte Fortbildungen für alle an. »Wenn ich einen Mitarbeiter zu einer Schulung beim Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA schicke, dann ist das Programm so umfangreich, dass es leicht als Stress empfunden werden kann«, erzählt Rocco Pabst. »Bei Embrace dagegen dauern Seminare nur einen Tag. Unsere Mitarbeiterin fährt schon am Tag vorher hin, sodass sie sich stressfrei eingewöhnen kann. Und alle werden auf Augenhöhe geschult. Das ist für uns optimal.«

Blick auf ein Gebäude
Foto: Kornspeicher gGmbH / Adrian Sandha

Das Hotel im Kornspeicher ist wie alle im Verbund der Embrace Hotels barrierefrei. Durch die Zertifizierung bei »Reisen für Alle« sind die Verhältnisse vor Ort detailliert beschrieben. »Wichtig ist, dass der Gast uns sagt, welchen Bedarf er hat«, betont Rocco Pabst. »Wir können individuelle Lösungen arrangieren. Etwa ein zusätzliches Zimmer in Rufweite, wenn jemand mit Assistenz reist.« Rollstuhlnutzende und blinde Menschen sind bei ihm gut untergebracht. Und er ist stolz auf die gerade erneuerte Klassifizierung: »Drei Sterne superior«….

Hoteldirektor als Quereinsteiger


Michael König kam als Quereinsteiger ins Hotelbusiness. Der gelernte Außenhandelskaufmann arbeitete zehn Jahre im Marketingbereich einer Firma für Online-Beratungen.

Aus rein privaten Gründen zog er sich ins thüringische Eichsfeld: König musste sich beruflich neu orientieren schickte eine Initiativbewerbung als Qualitätsmanager an das einzige größere Unternehmen am Ort, das Johannisstift. Als Antwort kam prompt: »Wir planen, ein Hotel zu eröffnen. Vielleicht wäre das etwas für Sie?«

»Ein Handbike für Gäste war die Lösung«

»Ein Hoteldirektor macht ja eigentlich genau das«, erklärt der 48-jährige Rollstuhlnutzer den Berufswechsel. »Marketing ist ja mein Kerngeschäft.« Den Wechsel erlebte er als Win-win-Situation, »für beide Seiten«, wie er lachend nachschiebt. Zwar war der geschichtsträchtige Schwebdaer Hof aus dem Jahre 1601 zunächst nur schwer barrierefrei zu gestalten, doch König konnte die eigenen Erfahrungen als Rollstuhlfahrer mit in den Umbau einbringen. Und sein Marketingwissen: Zusammen mit dem Qualitätsmanager richtete er das »Hotel 1601« in Treffurt danach aus, was die Umgebung hergibt. Und das ist vor allem: Landschaft.

Wer sich initiativ auf eine Stelle beim Verbund der Embrace Hotels bewerben will: Rocco Pabst empfiehlt ein Anschreiben, und wenn eine Stelle frei ist, ein kurzes Praktikum. »Dadurch kann man sich ausprobieren und herausfinden: Ist das etwas für mich? Und dann kann man gemeinsam weiterdenken und überlegen: Bietet sich noch eine Umschulung oder Ausbildung an? Oder kommt jemand direkt als Quereinsteiger in den Betrieb?« Als Voraussetzungen nennt der Hoteldirektor: »pünktlich, zuverlässig, freundlich. Alles andere lässt sich lernen.«

»Wir liegen in Thüringen direkt am grünen Band. Deshalb machen Radfahrende und Wandernde achtzig Prozent unserer Gäste aus«, erklärt König. Darauf zielte von Anfang an sein Marketing, als das Hotel vor zwei Jahren eröffnete. Als noch Gelder für Firmenwagen offen waren, überlegte er: Was würden wir denn viel dringender brauchen? Was will ein Rollstuhlfahrender, der oder die in der Thüringer Landschaft Urlaub macht? Handbikes!

Barrieren fallen

Behälter mit Obst steht auf einem Holztisch
Foto: Hotel 1601

Sein Geschäftsführer war sofort von der Idee begeistert. Mehrere Lastenräder und Rollstuhlfahrräder wurden angeschafft, darunter auch ein 14.000 Euro teures Handbike, das sofort Anklang fand. Der erste Leihkunde war ein Gast mit MS, der bereits relativ hoch gelähmt war. Er probierte das Handbike vier Tage lang aus. Inzwischen hat er selbst ein Handbike, zur Hälfte finanziert durch die Krankenkasse. »Er schickt uns jede Woche Ausflugsfotos«, freut sich König. »Er ist so glücklich und sagt, er habe sich noch nie so frei gefühlt. Das ist eben das tolle, dass Gäste bei uns erstmal so ein teures Gerät ausprobieren können. Um dann zu entscheiden, ob sie es sich selbst anschaffen wollen.«

Fahrradtouristen brauchen kein Mittagessen, sie sind am nächsten Morgen meist wieder verschwunden. Deswegen lautete das Fazit des Marketing-Experten: Das Hotel bietet ein gutes Bio-Frühstück an, danach aber keinerlei gastronomisches Angebot mehr. Deswegen hat Michael König um 15 Uhr Feierabend. Gute Voraussetzungen für den Familienvater, der am Nachmittag außerdem etliche Physio-Termine wahrzunehmen hat.

Michael König arbeitet sechs Stunden täglich. Seine Tätigkeiten reichen vom Erstellen der Dienstpläne über Teamentwicklung bis hin zum Aufnehmen von Buchungen und dem Anbieten oder Organisieren von Schulungen. »Es ist auch schon vorgekommen, dass ich in der Küche lande und Eier koche«, erinnert sich König. »Oder auch mal das Frühstück serviere. Aber inzwischen haben wir zum Glück ein gefestigtes Team
mit acht Personen.

« Der Hoteldirektor ist froh, »im Kleinen« etwas für die Inklusion tun zu können. Er ist es gewohnt, zu improvisieren. Deswegen findet er auch immer Lösungen. Und die Gäste? Haben sie manchmal Vorurteile? »Man sieht die Blicke«, sagt König. »Aber spätestens nach dem ersten Gespräch merkt man, wie die Barrieren fallen.« Neulich war Michael König zu einem Ausflug im benachbarten Wannsried im Café. Jemand kam und sprach ihn an: Sind Sie wirklich der Hotelleiter aus dem Nachbardorf, obwohl Sie im Rollstuhl fahren? Es war eine »sehr witzige Begegnung«, sagt König. Er nimmt solche überraschenden Ansprachen nicht krumm. »Ich finde es immer richtig, positiv auf Leute zuzugehen. Alles andere wäre mir als Familienvater mit drei Kindern auch zu anstrengend.«

Verbund der Embrace Hotels e. V.

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