Junge Journalisten schreiben: Porträt des Sitzvolleyball-Spielers Morteza Mehrzad bei den Paralympics

von Mona Alker

Das Team ist jung, inklusiv, und lernbereit: Für die Paralympics-Zeitung reist ein Team aus Nachwuchsjournalisten alle zwei Jahre zu den Wettkämpfen, um vor Ort zu berichten. Diesmal findet das Projekt Corona-bedingt in Berlin statt. In Kooperation mit dem veranstaltenden Tagesspiegel bringen wir hier einen Ausschnitt für unsere Leser: Ein Porträt des amtierenden Weltmeisters im Sitzvolleyball. Geschrieben hat es Mona Alker.

Vor dem Aufschlag dreht Morteza Mehrzad den Ball in seiner Hand und schaut kurz auf. Dann wirft ihn der iranische Volleyballspieler in die Luft und holt mit dem rechten Arm weit aus. Krawumm. Die gegnerische Mannschaft kann mit diesen Geschossen meist wenig anfangen. Mehrzad schmeißt jubelnd die Arme hoch und schaut geradezu ikonisch Richtung Hallendach. Punkt für den Iran. Wieder einmal.

Ein Grund für das spektakuläre Spiel von Mehrzad ist seine Schlaghöhe: Bei ausgestreckten Armen reichen seine Fingerspitzen bis auf 1,90 Meter. Für einen Volleyballspieler ist dies eigentlich keine außergewöhnliche Größe. Mehrzad jedoch erreicht dieses Maß von seinem Becken an aufwärts. Der Iraner spielt die paralympische Sitzversion der Sportart. Steht seine Mannschaft zur Hymne aufgereiht nebeneinander, wirken die Mitspieler um ihn herum unwirklich klein.

Mit seinen 2,44 Meter zählt Morteza Mehrzad zu den größten Menschen der Welt. Und seit der 33-Jährige vor sechs Jahren zum Nationalspieler berufen wurde, hat der amtierende Weltmeister und Paralympics-Sieger alle wichtigen Titel gewonnen. Auch in Tokio sind Irans Sitzvolleyballer wieder der Top-Favorit auf die Goldmedaille.

Eine ungewöhnliche Person

Es scheint nur logisch, dass sich Mehrzad vor zwölf Jahren im Para-Sport für Volleyball entschieden hat. »Aber vielleicht ist es eher so, dass der Sitzvolleyball mich ausgesucht hat«, erzählt der 33-Jährige der Paralympics Zeitung vom Tagesspiegel: »Hätte man mir damals irgendeinen anderen Sport angeboten, dann hätte ich den wahrscheinlich auch genommen.« So ist es eine absolute Win-win-Situation für beide Seiten. Für die iranische Nationalmannschaft, die schon immer zu den weltbesten Mannschaften zählte, weil sie mit Mehrzad eine kleine Durststrecke beenden konnte und nun wieder zur absoluten Weltspitze gehört. Und für ihren Starspieler, der heute sagt: »Ein Leben ohne Luft bedeutet den Tod – und für mich bedeutet ein Leben ohne Volleyball dasselbe.«

Morteza Mehrzad kam mit einer Akromegalie zur Welt – einer äußerst selten auftretenden hormonellen Wachstumsstörung, bei der es zum sogenannten Gigantismus oder hypophysären Riesenwuchs kommt. Die normalen Körperproportionen bleiben dabei weitgehend erhalten. Die Neuerkrankungsrate liegt pro Jahr bei etwa drei bis vier Menschen auf eine Million. Nach einem Fahrradunfall wuchs Mehrzads rechtes Bein nicht weiter, es ist heute etwa 15 Zentimeter kürzer als das linke. Auf sein Äußeres lässt er sich nicht reduzieren. »Ich bin ohnehin eine ungewöhnliche Person, und ich gestehe mir mein Erscheinungsbild ein«, sagt Mehrzad: »Es kümmert mich nicht, wie groß ich bin.«

Iran vs. Deutschland

Im Iran verdient Mehrzad mit dem Volleyballspielen sein Geld. In der höchsten professionellen Liga spielt er für den Shahrbabak Copper Club, einen Verein aus der Provinz Kerman im Südosten des Landes. »Das ist mein Job«, sagt er und freut sich darüber, dass auch nichtbehinderte Menschen den Sport »mögen und die Neuigkeiten dort verfolgen«. Auch der ehemalige deutsche Bundestrainer Rudi Sonnenbichler betont, dass Sitzvolleyballer – und allgemein Menschen mit Behinderung – im Iran einen ganz anderen Stellenwert hätten als in Deutschland: »Die ge[1]sellschaftliche Achtung ist größer.«

Sonnenbichler verfolgt die Karriere von Mehrzad genau und erzählt, dass er in seinem Heimatort entdeckt wurde und nicht unbedingt ein sportliches Talent gewesen sei. Es habe bei seiner Entwicklung ganz viel »Geduld, Anschub und Unterstützung« vom Umfeld gegeben, insbesondere im Rahmen der Nationalmannschaft. »Er musste sich erst von einem passiven Spieler, der auf der Bank saß, zu dem Aktiven entwickeln, der zu Medaillen beigetragen hat«, sagt Sonnenbichler. Diese Annahme teilt auch Axel Ruetz, der Mannschaftsarzt der deutschen Sitzvolleyballer. »Er ist immer athletischer, immer besser geworden«, sagt er: »Mehrzad ist heute ein völliger Ausnahmespieler.«

Neben den Vorteilen auf dem Spielfeld bringt die enorme Körpergröße des Iraners aber auch viele körperliche Einschränkungen mit sich. »Skoliose, abgedrückte Nervenenden und -bahnen, sehr schnelle Ermüdbarkeit, Teillähmungen im ganzen Körper – das geht alles damit einher«, erklärt Ruetz. Mehrzad braucht deshalb ganz spezielle, überlange Gehstützen, die Ruetz ihm während eines Aufenthalts in Deutschland anfertigte. »Die Gehstützen sind handgemacht, aus leichtem Stahl, damit das für sein Gewicht und seine Anatomie passt.« Mehrzad habe er als »etwas unsicher, aber sehr freundlich, zugewandt und sympathisch« erlebt.

Aufschläge kontern

In Japan bekommt es das deutsche Team in der Gruppenphase mit den Iranern und ihrem Starspieler zu tun. »Wir haben schon ein paar Mal gegen ihn gespielt, wir kennen ihn«, sagt Bundestrainer Michael Merten: »Aber wir müssen schauen, wie er sich entwickelt hat.« Nationalspieler Florian Singer betont, dass das komplette Team des Titelverteidigers super aufgestellt sei. Aber natürlich habe man Respekt vor dem Auftreten von Mehrzad: »Im Block ist es eher aussichtlos, mal einen Punkt zu holen, weil er einfach über jeden Block drüber schlägt.« Bei Angriff des Gegners müsse es die eigene Mannschaft laut Merten daher mit der Feldverteidigung versuchen.

Hinzu käme die Schlaghärte, sagt Merten: »Bei großen Spielern ist es oft so, dass sie nicht so hart schlagen können. Aber bei ihm ist das anders.« Sonnenbichler hebt zudem die Unberechenbarkeit von Mehrzad hervor: »Man kann oft nicht sagen, wo der Ball hingeht.« Doch Merten kennt eine Schwäche. »Wenn Mehrzad selbst im Block spielt, können wir ihn recht gut andrücken«, erklärt der Trainer. Das bedeutet: Wenn Mehrzad auf Höhe seiner Ellenbogen angespielt wird, habe er kaum eine Möglichkeit, dem Ball danach noch eine Richtung zu geben. Die Aufschläge von Morteza Mehrzad bleiben für die Gegner eine besondere Herausforderung. »Es ist ambitioniert, diese Bälle zu verteidigen«, sagt Merten, »aber es ist möglich.« In der Vorbereitung auf die Paralympics in Tokio haben die deutschen Sitzvolleyballer versucht, solche Geschosse von der Grundlinie aus so gut es geht zu imitieren. Ein Co-Trainer setzte sich dafür auf einen Kasten und schlug die Bälle über das 1,15 Meter hohe Netz.

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