Echt frischer Fisch: Barrierefrei Angeln

von Margarethe Quaas

Bei Sport bin ich raus«, stellt Sabine Hübner klar. Sie muss es wissen. Vor fast 50 Jahren zog sie ihren ersten Fisch aus dem Wasser, voller Stolz, eine große Rotfeder. Seit 1978 übt sie ihr Hobby aus. Zwar nutzt sie einen Aktiv-Rollstuhl, doch das Fischen sei kein Sport, erklärt sie: Schließlich gehe es um Lebewesen. »Das Sportlichste beim Angeln ist der Weg zum Gewässer«, scherzt sie, »jedenfalls für Rollis.

Das will sie ändern. In ihrer Position als Beauftragte für Barrierefreies Angeln beim Landessportfischerverband in Schleswig-Holstein setzt sich Sabine Hübner seit Jahren für standardisierte barrierefreie Angelplätze ein. Ein Parkplatz und eine Bushaltestelle in unmittelbarer Nähe, ein ebenerdiger Zugang: Das sind nur einige der Kriterien, die mittlerweile 15 Angelplätze in ihrem Bundesland vorweisen können.

Das Angeln liegt irgendwo zwischen entspannter Freizeitaktivität und Jagd. Manche Menschen genießen die Ruhe, andere fachsimpeln gern in der Gemeinschaft. Was alle vereint, ist der Genuss, ihr Hobby unter freiem Himmel auszuüben und die Gedanken schweifen zu lassen. »Angeln ist mein Yoga«, erklärt Sabine Hübner. »Bis zu dem Moment, wenn der Schwimmer zuckt und das Adrenalin steigt.«…

Jagd auf die Räuber

Das Ritual des Fischens beginnt bei Sabine Hübner mit der Vorfreude. Schon Tage vorher wirft sie einen Blick in den Kalender und prüft, ob sie sich für ihre Leidenschaft Zeit nehmen kann. Und wo der Mond steht. Zander und Aal lassen sich am besten im Dunkeln fangen, wenn es warm ist. Viele schwören darauf, dass der zunehmende Mond höhere Bisserfolge verspricht.

Als klassische Raubfischanglerin freut sich Sabine Hübner besonders auf den 1. Mai. Dann endet die Schonzeit für den Hecht. Ihr Lieblingsfisch ist allerdings der Barsch, weil er ein äußerst feiner Fisch ist. In jedem Süßwasser zu finden, beißt er auf unterschiedliche Köder an. »Natürlich liebt er den Wurm, lässt sich aber auch mit Kunstködern überlisten«, erklärt die Anglerin. Wortwörtlich besteht die Kunst darin, den Köder dem Fisch durch verschiedene Führungstechniken schmackhaft zu machen, ihn also auszutricksen.

Vieles bereitet Sabine Hübner schon von Zuhause aus vor: die Rute montieren zum Beispiel, statt mit kalten nassen Fingern vor Ort zu hantieren. Alle Taschen im Auto verstauen, zuletzt die Würmer. Dann geht’s los zum liebsten Angelplatz an der Wakenitz bei Lübeck. »Wenn die Camper noch nicht da sind, ist es ein ganz stiller Platz mit historischer Aura, nah an der ehemaligen Grenze«, schwärmt die gebürtige Schleswig-Holsteinerin. »Es ist ein besonderes Gebiet mit schmalen Stellen, überwachsenen Uferkanten und vielseitigem Fischbestand.«

Mit Rollstuhl ans Wasser

Auch für Jörg Richter beginnt der Angeltag früh. Um sechs Uhr bricht er mit seiner Frau in einem bis oben hin beladenen Kombi auf. Der passionierte Angler zieht seit fast 33 Jahren alle Arten von Fischen aus dem Wasser. Zuerst kam seine Frau Susanne mit, um Schiffe anzuschauen, wenn sie am Mittellandkanal angeln. Inzwischen wirft sie selbst die Rute aus, hat seit zwei Jahren den Fischereischein und ist die treibende Kraft bei ihrem gemeinsamen Hobby. Sie angeln im Team – auch wenn es darum geht, das viele Equipment zum Angelplatz zu bringen.

Denn nicht jeder neue Angelplatz ist geeignet für einen Angelausflug allein. Zwar wird auf barrierefreie Bauvorschriften geachtet, doch Richters Kritik lautet: »Es wird so gebaut, wie die Vorschriften es vorgeben, mit allen Steigungen und Zuwegungen. Aber was ein Rollstuhlfahrer oder Schwerbehinderter wirklich braucht, darauf wird nicht bis zum Ende eingegangen.«

Aus diesem Grund nutzt Jörg Richter nur ungern den neu gebauten Steg in seinem niedersächsischen Heimatort Löningen. Denn wenn er sein Equipment auf dem Schoß transportiert, dann ist selbst eine kleine Steigung hinderlich. Deshalb fahren sie lieber zu den Seen nach Osnabrück, auch, wenn der Fahrtweg 50 Minuten beträgt. »Die Zuwegung da ist super, die Uferböschung ist ebenerdig. Von den 33 Seen gibt es nur zwei, an die ich nicht rankomme«, verrät Richter.

Naturerlebnis mit Verantwortung

360 Fragen muss ein angehender Angler für die Sachkundeprüfung beantworten können. Zu den Inhalten gehören Fisch- und Gewässerkunde, Tierschutz und Rechtsvorschriften. Je nach Bundesland ist das Angeln auch ohne Fischereischein möglich (siehe Kasten). Damit kann jeder ausprobieren: Habe ich die nötige Ruhe und Geduld? Und kann ich ein Tier töten?

Denn am Ende steht nicht das Fangen, sondern das Nutzen des Lebewesens. Fische gehören zu den Wirbeltieren und unterliegen damit dem Tierschutzgesetz. Das besagt, dass gefangene Tiere sinnvoll verwertet, also gegessen werden müssen. Waidgerechtes Töten zum Beispiel heißt: Betäubung und schneller Stich auf der Brustseite oder an den Kiemen. Bei einem Aal muss das Genick gebrochen werden. Viele schrecken zunächst davor zurück, wenn sie Fische nur filetiert aus dem Supermarkt kennen.

Tier- und Naturschutz sind der Wertekompass des waidgerechten Jagens. Dazu zählt auch, auf Schonzeiten und Mindestmaße der Fische zu achten, damit Bestände und biologische Vielfalt erhalten bleiben. Das Limit an gefangenen Fischen liegt im Eigenbedarf oder ist durch den Gewässereigner vorgegeben.

Für Sabine Hübner ist es deshalb wichtig, einen Fisch, der gut gelebt hat, im Anschluss auch zu essen. Und zwar so, dass am Ende nichts von ihm übrigbleibt. »Ein Hecht kann bis zu einem Meter lang werden«, erzählt sie, »davon können wir vier Mal essen.« Sie bereitet den Fang auf unterschiedliche Art zu: »Erst das Filet, dann die Reste, die durch den Fleischwolf gedreht werden, damit leckere Hechtklößchen bei rauskommen«, schwärmt sie.

Abschalten als Ziel

Für Sabine Hübner ist es nicht dramatisch, wenn sie sich den Tag über nur gesonnt hat. Sie verspürt keinen Druck, einen Fisch auf den Tisch bringen zu müssen oder ein Foto vom größten Hecht zu schießen. Sie genießt die Entspannung in der Natur, das Leben mit den Jahreszeiten. Und sie weiß es zu schätzen, das Gefangene lecker zubereiten zu dürfen.

Für Jörg Richter und seine Frau kann ein Tag am Wasser manchmal sogar bis in die Nacht hinein dauern. Die Zeit vergeht für ihn dann wie im Flug, zwischen seinen Angelruten kann er komplett abschalten. Das gilt auch für seine Frau Susanne: »Sie sagt, ihr tut das so gut – wenn sie einen Tag lang angeln war, braucht sie zwei Tage, bis sie wieder richtig in die Gänge kommt«, lacht Richter.

Kommentare

Elfriede Wilfling

05. August 2021 um 07:25 Uhr

Ich kämpfe mich gerade durch die verschiedenen Quellen, finde aber bisher nichts, dass mit Vorlage des Schwerbehinderten-Ausweises ohne Fischereischein geangelt werden kann. Bei uns im Bayern finden nur regelmäßig gut gemeinte , angeblich inklusive Veranstaltungen statt, wo Menschen mit einer geistigen Behinderung einmal im Jahr mit Angehörigen eines Angelvereins angeln dürfen. Tatsächliche Teilhabe, durch Regelungen ähnlich dem Jugendfischereischein ist leider Fehlanzeige. Könnten Sie mir mitteilen, in welchem Bundesland hierzu Regelungen geschaffen wurden und welche ? Herzliche Grüße aus Bayern

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