Beweglich und balanciert: In den Kursen von Antje Kuwert profitieren Menschen nun auch digital von Yoga

von Margarethe Quaas

Diane Kratt-Uhl bereitet sich auf die kommenden eineinhalb Stunden vor. Sie zieht ihre Beinorthese aus und schiebt sich auf einen schwarzen Bodenstuhl. Zeit für Yoga.

Seit drei Jahren nimmt sie an inklusiven Kursen in Ludwigsburg teil. Jetzt ist alles anders. Seit die Corona-Zahlen steigen, finden die Kurse häufig virtuell statt. Mit wenigen Klicks öffnet sich ein Fenster. Sanfte indische Gesänge klingen aus den Lautsprechern. Im Bildschirm sitzt ihr gegenüber vor einer roten Wand, ganz in Weiß, Antje Kuwert. Sie begrüßt die elf Teilnehmer zum Kundalini Yoga. Zehn sind Fußgänger, Diane Kratt-Uhl ist Rollstuhlfahrerin.

Kundalini ist mein Weg

Seit 15 Jahren unterrichtet Antje Kuwert Yoga für Menschen mit und ohne Behinderung. Die engagierte Sporttherapeutin, Yogalehrerin und Ausbilderin zur Yogalehre und -Therapie mit den feuerroten Locken erfüllte sich damit ein Traum: Yoga für alle.

Mit dieser Motivation gibt sie in der Manfred Sauer-Stiftung Kurse und hat die AG Yoga im Deutschen Rollstuhl-Sportverband aufgebaut. Die Yoga-Form »Kundalini« ist »ihr Weg«, insbesondere, weil es für Menschen im Rollstuhl gut geeignet ist. Viele Körperübungen finden im Sitzen statt und sind leicht abzuwandeln.

Als sie damals mit den gemischten Klassen begann, war Yoga für Menschen mit Behinderung in der breiten Bevölkerung noch unbekannt. »Es gab noch kein offizielles Angebot«, erinnert sich Kuwert. Sie beschloss damals: »Das muss in die Köpfe rein – auf beiden Seiten.«

Zunächst kam von den Verbänden Widerstand und von den Teilnehmern Skepsis. Antje Kuwert erinnert sich an ihren ersten Kurs: Ein Teilnehmer war von seiner Frau angemeldet worden. »Was soll ich denn da«, meinte er zunächst. Bereits nach dem Wochenendkurs war er erstaunt, dass er in bisher nicht spürbare Bereiche atmen konnte. Und es ihm fühlbar besser ging.

Nieren und Stress

Jede Kundalini-Stunde widmet sich einem Thema. »In dieser Stunde geht es um die Unterstützung der Nieren und Nebennieren.« Mit ruhiger Stimme erklärt Antje Kuwert die vermehrte Bildung von Adrenalin und anderen Stresshormonen. Dauerstress erhöht den Blutdruck, hält die Atmung flach und begünstigt Probleme im Magen-Darmtrakt: »Stress geht buchstäblich an die Nieren.« Neben körperlichen werden auch energetische Themen angesprochen, denn Yoga fördert die Energieflüsse und öffnet die Kraftzentren im Körper, sogenannte »Chakren«. Für Kuwert ein ausschlaggebender Punkt, warum sich viele für Kundalini entscheiden: »Weil noch mehr dahintersteckt, auch das geistige Feld. Ich kann also auch fragen: Wie kann ich durch Yogaübungen Stabilität erreichen und Ängste angehen?« Für die heutige Stunde liegt der Fokus auf dem »Wurzelchakra«. Es soll Stabilität und Urvertrauen fördern.

Die Stunde beginnt

Zu Beginn stehen sechs Aufwärmübungen auf dem Programm – jede im Sitzen. »Sufikreise« ist eine Übung, die die Teilnehmerin Diane KrattUhl besonders mag. Die 47-Jährige Prothesen-Trägerin sitzt dabei statt im Schneidersitz mit ausgestreckten Beinen auf ihrer Yogamatte und lässt ihren Oberkörper kreisen, die Hände sind aufgestützt am Boden. So wird die Wirbelsäule mobilisiert, vom leichten Buckel bis zum nachoben Dehnen des Brustkorbs. Die Atmung muss wie bei jeder Übung bewusst mit der Bewegung gehen – hier, wenn der Körper zurück geht, Einatmen, geht er nach vorn, Ausatmen.

Obwohl die Übungen genau angesagt werden, sehen die Bewegungen bei jedem Teilnehmer anders aus. Die Übung gilt dann als perfekt, wenn die Fähigkeiten eingesetzt werden, die möglich sind. Diane Kratt-Uhl schließt ihre Augen und ist dabei ganz bei sich.

Die Wärme steigt zügig in den Körper. Nur ein langer Atemzug liegt zwischen den Übungen. Nach dieser körperlichen Einstimmung folgt die geistige mit dem gesungenen oder gedachten Meditationswort – dem »Mantra«.

Danach folgt die Kriya, eine festes Übungsset, das auf die Themen Nieren und Nebennieren abgestimmt ist. Antje Kuwert erklärt jede Übung genau, doch die am Anfang noch ungewohnten Handhaltungen verlangen einige Konzentration: »Die kleinen Finger ineinanderhaken, die Daumen nach oben stellen und die restlichen Finger einrollen. Nun auf Höhe des Solarplexus halten – also oberhalb des Nabels und unterhalb des Brustbeins. Aufgerichtet sitzen, das Kinn anziehen.« Dann die Feueratmung in den Unterbauch. Zwei Minuten. Für Kratt-Uhl eine der anstrengendsten Übungen: »Da braucht man viel Praxis.«

Feueratmung

Für Kurs-Neulinge erklärt Antje Kuwert die Feueratmung genau. Hier ist zu beachten, dass das Ein- und Ausatmen jeweils gleich lang ist – eine Art Bauchpumpe. Beim Einatmen wird der Bauch gedehnt, beim Ausatmen der Nabel nach innen gezogen. Oft ist es die erste schwierige Konzentrationsübung.

Kuwert betont: »Die Feueratmung kann den Blutdruck erhöhen. Für Menschen mit niedrigem Blutdruck ist sie gut. Wer vorher schon einen hohen Blutdruck hat, sollte dort vorsichtiger sein.« Sie fügt jedoch hinzu: »Wenn die Technik durch Übung gut beherrscht wird, kann sie den Blutdruck auch ausgleichen. Da heißt es: Langsam vortasten.«

Auf sich hören

Niemals sollte etwas mit Gewalt geschehen. Besonders Para- und Tetraplegiker müssen bei den Dehnübungen vorsichtig sein. Denn wer lange im Rollstuhl sitzt, kann poröse Knochen haben. Antje Kuwert weiß: »Rollstuhlfahrer können meist gut im Schneidersitz sitzen, da heißt es: Nicht die Knie zum Boden pressen, das kann leicht zu einem Oberschenkelbruch führen.«

Diane Kratt-Uhls sensible Stelle ist ihr Knie, das sie nicht biegen kann. Antje Kuwert geht auf die Teilnehmer ein und bringt Vorschläge für Varianten. Statt in Rückenlage die Knie anzuwinkeln und die Hüfte zu heben, kann Diane Kratt-Uhl den »Kamelritt« praktizieren (siehe Übung 3). Sie spürt, wie ihr die Übung guttut, wie ihre Wirbelsäule sich dehnt.

Diane Kratt-Uhl hat das Gefühl, dass sie durch Yoga Körperteile ansprechen kann, die sonst nicht so aktiv sind. Zum Beispiel fühlt sich ihr Oberkörper durch das viele Sitzen sehr fest, verkrampft an. Durch das Feueratmen hat sie das Gefühl, die inneren Organe zu massieren, das Zwerchfell zu lockern. »Auch die Verdauung ist besser geworden«, erklärt sie zurückhaltend.

Dieses Feedback bekommt Yogalehrerin Antje Kuwert häufig. Einzelne berichten sogar, dass auch ihre Spastiken weniger geworden sind. Oder das Atemvolumen zugenommen hat. Nicht nur körperlich wirkt sich Yoga positiv aus, auch psychisch hat es eine ausgleichende Wirkung im stressigen Alltag. »Mir hat die Entspannungsübung gut geholfen, wenn ich auf etwas warten muss«, ergänzt Kratt-Uhl. »Das habe ich in meinen Alltag integriert.«

Spannung und Entspannung

Im Yoga findet ein ständiges Wechselspiel zwischen Spannung und Entspannung statt. Die einzelnen Übungen der Kriya werden nur mit einer kurzen Unterbrechung praktiziert – dem Mula Bandha, dem Wurzelverschluss. Dabei wird der Beckenboden angespannt und der Nabel eingezogen. Die von der vorherigen Übung erzeugte Energie steigt so im Körper auf.

Danach folgt die Entspannung. Flach liegen alle auf der Yogamatte, im Hintergrund schwingen Klänge. Bewusstes Atmen. Die Gedanken bei sich halten. Zehn Minuten werden zu einer langen Körperreise.

Mit dieser inneren Ruhe führt Antje Kuwert zur Meditation. Im Kundalini ist sie oft mit dem Singen von Mantren verbunden. Der Text wird am Bildschirm angezeigt, jedem steht es frei, laut oder im Geiste mitzusingen. »Ich habe das Gefühl, bei dem Gesang die Energie aufzunehmen und zu spüren«, sagt Kratt-Uhl. Und: Gesang verbindet. Die Einfachheit eines gemeinsamen Gesangs einigt die anonymen Teilnehmer hinter den Bildschirmfenstern.

Nach der Reise

So ein eineinhalbstündiger Yogakurs ist auch eine Reise ins Selbst. Danach kann sich ein Gefühl von positiv erschöpft bis energetisiert einstellen. »Manchmal könnte ich danach Bäume ausreißen«, lacht Kratt-Uhl. »Yoga gibt viel Kraft und ist so meditativ, dass es die Seele berührt.«

Und ist Yoga am Computer eine wirkliche Alternative? Für Kratt-Uhl auf jeden Fall: »Es ist sogar besser, weil ich meine Beinorthese nicht aus – und anziehen muss.« Auch Antje Kuwert hatte schon lange vor, Onlinekurse anzubieten. Durch die derzeitige Lage hat sich das Vorhaben beschleunigt – zu ihrem Glück. »Ich bin sehr froh darum, ich kann mehr Menschen erreichen, auch außerhalb des Stuttgarter Raums.« Auch Anfängern macht sie Mut: »Meine OnlineKurse sind immer gemischt. Jeder kann dazu kommen und die Übungen so mitmachen, wie es für den Einzelnen geht.«

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