Zwei Joysticks und Strom vom eigenen Dach

von Paul-Janosch Ersing

Der vollelektrische Skoda Enyaq

Der Wunsch nach lokal emissionsfreien Autos wird auch bei Rolli-Fahrenden immer stärker. Bislang war das Angebot an entsprechenden Fahrzeugen eher überschaubar und auf Hochdachkombis und Kleinbusse beschränkt. Der Umbauspezialist Paravan hat nun zum ersten Mal für eine Kundin ein Elektro-SUV mit dem Space Drive System ausgerüstet. Wir haben Svenja Gluth in Süddeutschland besucht.

»Mit der rechten Hand lenke ich, mit der linken Hand betätige ich Gas und Bremse«, erklärt Svenja Gluth die wichtigsten Fahrfunktionen im Cockpit ihres neuen Elektroautos. Auf dem Fahrersitz ist die 28-Jährige auf technische Lösungen wie eine Zwei-Wege-Joystick-Steuerung angewiesen, für ein konventionelles Lenkrad
und Pedale fehlt ihr schlichtweg die Kraft in Armen und Beinen. Ihre körperlichen Einschränkungen sind der seltenen Krankheit Spinale Muskelatrophie, kurz SMA, geschuldet. Svenja Gluth kann kurz stehen, in der heimischen Küche seitliche Schritte machen und auch ohne Hilfe vom Rollstuhl in ihr Auto steigen.

Der Spezialumbau

Der 4,65 Meter lange Skoda Enyaq wurde beim schwäbischen Umbauspezialisten Paravan in Pfronstetten-Aichelau mit dem Space Drive System ausgestattet und zählt damit zu den ersten mit dieser Technik ausgerüsteten Elektroautos in Kundenhand. Doch das Elektro-SUV hat noch eine weitere technische Besonderheit an Bord: Die Rollstuhlverladehilfe Robot 3000 verstaut den Rollstuhl auf Knopfdruck im Gepäckraum. »Weil ich einen Rolli mit dem elektrischen Zusatzantrieb E-Motion von Alber fahre, musste das Verladesystem entsprechend ertüchtigt werden«, berichtet Gluth.

»Ein Fluchtauto für Bankräuber ist das nicht gerade!«

Der große Vorteil des futuristisch anmutenden Roboter-Arms, der den Rollstuhl automatisch ins Gepäckabteil befördert, liegt auf der Hand: Die drei Sitzplätze auf der Rückbank können ohne Einschränkungen genutzt werden. Gerade mit Baby ist das eine feine Sache, findet Svenja Gluth: »Wenn ich fahre, kann mein Mann auf
längeren Touren ganz komfortabel neben dem Kindersitz unserer Tochter sitzen und sich um sie kümmern.«

Das einzige Manko der bei Passanten oft für Aufsehen sorgenden Konstruktion fasst die junge Mutter schmunzelnd zusammen: »Als Fluchtauto für Bankräuber eignet sich mein Auto nicht gerade!« Denn vom elektrischen Öffnen der Gepäckraumklappe bis zum vollständigen automatischen Verstauen des Rollstuhls samt
anschließendem Schließen des hinteren Portals vergehen etwa anderthalb Minuten.

Elektrisches Fahrvergnügen

»Bei der Bestellung habe ich extra das Häkchen bei der Sport-Line gesetzt«


Sobald der Rolli sicher verladen ist, beginnt für Svenja Gluth der eigentliche Spaß: Das immense Drehmoment des Elektromotors liegt bereits aus dem Stand an und schenkt dem Enyaq einen beeindruckenden Vorwärtsdrang. Mit der linken Hand am Joystick lässt sich die flüsterleise Kraft fein dosieren; weil es bei E-Autos keine Gangwechsel gibt, geht es unterwegs sehr zügig voran. »Nach zehn Jahren mit einem Ford C-Max fühlt
sich der neue Enyaq komplett anders an – und er sieht auch anders aus: Bei der Bestellung habe ich extra das Häkchen bei der Sport-Line gesetzt«, verrät Gluth und ihre Augen beginnen zu funkeln. Ein Sportfahrwerk, große 20-Zoll Leichtmetallräder, eine markantere Frontschürze, Außenspiegelkappen und Kühlergrillrahmen in Schwarz zählen ebenso zu diesem Paket wie das beheizbare Sportlenkrad. »Wenn ich im Winter irgendwo stehe und warten muss, schalte ich die Lenkradheizung gerne ein und wärme meine Finger auf.«
Unterwegs hat Svenja Gluth ihre Hände selbstverständlich ständig an den beiden Joysticks.

Die Sekundärfunktionen des Fahrzeuges – wie die Heckklappe oder die elektrische Sonnenblende – bedient sie ganz einfach per Sprachsteuerung. Zusätzlich gibt es auf dem rechten Joystick einen kleinen programmierbaren
Knopf. »Damit kann ich beispielsweise blinken, den Scheibenwischer einschalten oder hupen«, erklärt die Enyaq-Pilotin.

Multimedia und Innenraum

»Der Enyaq punktet mit der markentypischen Geräumigkeit«

Foto: Paul-Janosch Ersing

In Sachen Unterhaltungselektronik kann Gluth auf den aktuellen Stand der Technik zurückgreifen. Das Smartphone lässt sich mit dem Gerät im Auto koppeln, der Enyaq ist immer online. Der berührungsempfindliche Bildschirm zwischen Fahrer und Beifahrer trumpft mit einer Diagonalen von 13 Zoll auf – und stellt damit nicht nur den technisch verwandten Volkswagen ID.4, sondern auch alles bisher von Skoda Bekannte in den Schatten. Für in ihrer Bewegung eingeschränkte Menschen wie Svenja Gluth erleichtert der große Touch-Bildschirm die Bedienung der Fahrzeugfunktionen: Die entsprechenden Kacheln des Menüs sind etwas
größer und können – bei stehendem Fahrzeug – zielsicher getroffen werden. Das Platzangebot im
Elektro-SUV ist zwar nicht ganz so groß wie in dem zuvor gefahrenen Minivan, doch auch der Enyaq punktet mit der markentypischen Geräumigkeit, zahlreichen praktischen Ablagefächern und einem vielfältig nutzbaren Gepäckabteil mit 585 Liter Volumen.

Assistenzsysteme

Viele Neuwagen sind heutzutage bereits ab Werk mit einer Vielzahl elektronischer Assistenzsysteme ausgerüstet. Sie sollen dem Menschen hinterm Lenkrad das Leben erleichtern. Bis auf den Lenk- und Spurhalteassistent sind im Rahmen des Paravan-Umbaus alle Skoda-Systeme erhalten geblieben. »An so kleine Helferlein wie den Totwinkel-Warner oder den Abstandstempomaten gewöhnt man sich wirklich schnell«, findet Gluth.

Foto: Paul-Janosch Ersing

Antrieb und Fahrwerk

Die Physik lässt sich nicht überlisten. Auf den ersten Metern merkt man dem Enyaq sein stattliches Leergewicht von zwei Tonnen an. Der Akkublock mit einer nutzbaren Kapazität von 58 Kilowattstunden (kWh) sitzt im Unterboden und drückt spürbar Richtung Erdmittelpunkt – das sorgt für eine satte Straßenlage. Die
180 PS/132 kW Leistung laden eher zum gemütlichen Dahingleiten als zum rüden Ampelstart ein. Gut für Stadtmenschen: Beim Einparken überrascht das Elektro-SUV mit dem Wendekreis eines Kleinwagens (9,30 Meter). Wie die meisten Elektroautos ist auch der Enyaq eher straff gefedert. Wer es auf der Autobahn gerne sänftengleich mag, muss zum aufpreispflichtigen regelbaren Fahrwerk greifen. Unebenheiten werden dann noch souveräner weggebügelt.

Reichweite und Ladeleistung

Auf dem Papier schafft der Enyaq mit dem 58-kWh-Akku einen Radius von knapp 400 Kilometern. Für Svenja Gluth ist das mehr als genug: Aktuell nutzt sie ihr Auto überwiegend zu alltäglichen Erledigungen im näheren Umkreis. Aber selbst wenn die studierte Sachbearbeiterin und Ortsvorsteherin ihres Heimatortes den Weg zu ihrer rund 40 Kilometer entfernten Arbeitsstelle antritt, bekommt sie keinerlei Reichweitenangst. Auf öffentliche Ladesäulen, die nicht immer barrierefrei sind, ist Svenja bisher nicht angewiesen. Der Strom für ihr Elektroauto fließt von der eigenen Photovoltaik-Anlage in den Akku. »An normalen Tankstellen konnte ich mit Rollstuhl früher nie an die Zapfsäulen rankommen«, erinnert sich Gluth an ihre Zeit mit Verbrennungsmotor. »Mein neues E-Auto kann ich immerhin selbst laden – ein weiteres Stück Unabhängigkeit, das sich gut anfühlt!«

Fazit

Die begrenzte Zuladung von Elektroautos ist für viele Rollstuhlfahrende ein Problem: Zahlreiche Umbaumaßnahmen sind mit Blick auf das erlaubte Gesamtgewicht oder den Einbauort der Akkus nicht zu realisieren. Für Menschen wie Svenja Gluth, die ohne fremde Hilfe vom Rolli auf den Fahrersitz umsteigen können, sind entsprechend angepasste Fahrzeuge wie der Skoda Enyaq jedoch eine interessante Alternative zu
Hochdachkombis oder Kleinbussen.

Auf ihrem Kanal instagram.com/svenjas.welt berichtet Svenja Gluth von ihren Alltagserfahrungen als Autofahrerin und Mutter im Rollstuhl.

Škoda Enyaq iV 60

Foto: Paul-Janosch Ersing
  • Typ: Elektro-SUV
  • Preis: 42 100 Euro
  • Länge: 4,65 Meter
  • Breite: 1,88 Meter
  • Höhe: 1,61 Meter
  • Leergewicht: 1999 Kilogramm
  • Zuladung: 577 Kilogramm
  • Kofferraum: 585 bis 1710 Liter
  • Radstand: 2,77 Meter
  • Sitze: 5
  • Spitze: 160 km/h
  • 0 auf 100 km/h: 8,7 Sekunden
  • Motor: Permanentmagneterregte Synchronmaschine
  • Leistung: 180 PS/132 kW
  • Drehmoment: 310 Newtonmeter
  • Batterietyp: Lithium-Ionen-Akku
  • Batteriekapazität: 62 Kilowattstunden (kWh)
  • Reichweite (WLTP): 376 – 397 Kilometer
  • Normverbrauch (WLTP): 16,0 – 16,9 kWh/100 km
  • CO2-Ausstoß (Strommix Deutschland 2021:
  • 420 Gramm/kWh): 67,2 – 71 Gramm/km

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